“Tschick“ von Fatih Akin: Nächste Ausfahrt Freiheit
„Tschick“ im Kino: Fatih Akin hat sein Lieblingsbuch verfilmt und aus Wolfgang Herrndorfs fabelhafter Geschichte über Freundschaft und Liebe einen rührenden Roadtrip gemacht.
Von Christiane Fasching
Innsbruck –Maiks Mutter ist Alkoholikerin, Maiks Vater ist ein Arschloch – Maik selbst ist langweilig. Und seit er die Alki-Arschloch-Geschichte seines Lebens in Aufsatzform gegossen hat, klebt auch noch der Spitzname „Psycho“ an ihm. Kein Wunder, dass ihn Tatjana, die Klassenschönste, in die er unsterblich verliebt ist, nicht zur Sommerparty einlädt. „Es gibt keinen Grund, dich einzuladen. Du fällst nicht auf. Du musst auffallen, Mann!“, sagt Tschick. Und Tschick, der eigentlich Andrej Tschichatschow heißt, weiß, wovon er redet: Er stammt aus den unendlichen Weiten Russlands, wird mit mafiösen Machenschaften in Verbindung gebracht, kommt mit Schnapsfahne in die Klasse und schreibt die beste Mathe-Arbeit, bevor er sturzbesoffen auf die Schulbank reihert. Tschick fällt auf. Und obwohl sich der Psycho und der Assi anfangs nicht riechen können, sitzen sie plötzlich zusammen in einem „geliehenen“ Lada und preschen Richtung Walachei – wo sie nie ankommen werden, wie die Leser von Wolfgang Herrndorfs fabelhafter Freundschafts-Odyssee „Tschick“ wissen. In 25 Sprachen wurde der 2010 erschienene Bestseller, der Jung wie Alt gleichermaßen bezauberte, bislang übersetzt – die Idee, die Geschichte ins Kino zu transferieren, war da naheliegend. Aber geht das? Und vor allem: Geht das gut aus?
Ja. Und ja. Fatih Akin sei Dank. Dabei war er nur zweite Wahl: Ursprünglich hätte David Wnendt („Feuchtgebiete“) Regie führen sollen, doch nach einem Zerwürfnis mit dem Produzenten kam wenige Wochen vor Drehbeginn doch Akin zum Zug. Herrndorf hatte mit der Entscheidung nichts mehr zu tun – der Autor hatte sich 2013 das Leben genommen, weil er nicht von seinem Gehirntumor dahingerafft werden wollte. Wahrscheinlich würde ihm der rührende Roadtrip aber gefallen – weil er genauso liebevoll mit seinen Helden umgeht, wie der Roman es tut.
In den Hauptrollen geben Tristan Göbel und Anand Batbileg den patscherten Helden Maik und Tschick authentische Gesichter – die man hin und wieder gern mit Spuckefingern sauberwischen würde. Wenn die beiden zum Soundtrack von Richard Claydermans Schmalz-Ballade „Pour Adeline“ oder zum Bilderbuch-Ohrwurm „Willkommen im Dschungel“ durch die ostdeutsche Pampa düsen und vorbei an Windrädern und Maisfeldern den besten aller Sommer erleben, dann sind das bleibende Gänsehaut-Kino- momente. Wenn das Duo am Mittagstisch einer schrägen Schlaukopf-Familie Risi-Pisi-Pampe mampft und glorios beim Nachtisch-Quiz versagt, darf man im Kino ruhig mal laut loslachen. Und wenn Maik am Ende seine „übertrieben geile“ Jacke mit Drachenprint an Tschick vermacht, muss man sich für die Tränen der Rührung nicht schämen.
Das Schöne an Akins Film ist, dass er der Vorlage treu bleibt und trotzdem den Mut findet, eigene erzählerische Wege zu gehen: Wenn etwa der Arschloch-Vater mit seiner Geliebten in Richtung Affären-Urlaub zieht, malt sich Maik – in Quentin-Tarantino-Manier – ein blutiges Rache- szenario aus. Und schießt seinem Vater gedanklich in den Rücken. Ob das der Grund dafür ist, dass der Film erst ab 14 Jahren freigegeben ist? Man kann es mit dem Jugendschutz auch übertreiben ...
Aber vielleicht ist „Tschick“ ja auch mehr ein Film für jene Spezies Mensch, die alterstechnisch zwar längst ins Erwachsenen-Universum gehört, vom Herzen aber noch immer jung und unvernünftig ist – und heimlich mit dem Gedanken spielt, endlich auch Richtung Freiheit zu fahren. An diese Peter Pans da draußen: Schaut euch „Tschick“ an – und lest danach noch mal das Buch. Am besten mit Clayderman-Begleitung.