Nöstlinger: „Kinder wären arm, wenn sie nur meine Bücher hätten“

Wien (APA) - Sie ist unbestreitbar Österreichs beliebteste lebende Kinderbuchautorin: Christine Nöstlinger. Am 13. Oktober feiert die resolu...

Wien (APA) - Sie ist unbestreitbar Österreichs beliebteste lebende Kinderbuchautorin: Christine Nöstlinger. Am 13. Oktober feiert die resolute Wienerin 80. Geburtstag. Mit der APA sprach sie aus diesem Anlass über ihre Traurigkeit im Alter, wie wenig ihr der runde Geburtstag bedeutet und darüber, dass sie auch für grauslige Zehnjährige schreibt.

APA: Sind Sie als Kind gerne zur Schule gegangen?

Christine Nöstlinger: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte als Kind jeden Tag das Gefühl, das etwas passiert, aufkommt, wenn ich zur Schule gegangen bin. Ich hatte ein latent schlechtes Gewissen.

APA: Aus gutem Grund?

Nöstlinger: Es hatte alles schon so schlecht in der Volksschule begonnen. Ich hatte eine Rechen-Hausübung falsch geschrieben und hätte sie verbessern müssen. Mein Ehrgefühl hat aber nicht zugelassen, dass ich aufzeige. Die ganz dicke, alte Lehrerin ist dann dahinter gekommen und hat gefordert, dass ich mich bei ihr entschuldige mit den Worten „Verzeihung, ich werde es nicht mehr tun.“ Anderen Kindern ist das leicht von den Lippen gegangen - aber ich habe es nicht zusammengebracht. Dann hat sie mich jeden Morgen herausgeholt und gefragt, ob ich ihr etwas zu sagen habe. Ich habe es aber nicht zusammengebracht. So bin ich dann die ganze Stunde gestanden. Und so ging das wochenlang. Mein Großvater hat mich in der Früh immer präpariert: „Maderl, denk Dir: ‚Leck mi im Oarsch‘ und sag‘s.“ Aber ich habe es wieder nicht gekonnt. Wenn die Schule so schon anfängt, hat man generell kein gutes Gefühl in Schulen.

APA: Ist der Umstand, dass Lieblingsbücher eine enorme Rolle für Kinder spielen, für Sie als Autorin eigentlich ein Druck?

Nöstlinger: Eigentlich nicht. Ich bin ja nicht der einzige Mensch, der für Kinder schreibt. Ich trage ja nicht allein die Last der Verantwortung auf meinen Schultern. Die Kinder wären arm dran, wenn sie nur meine Bücher hätten.

APA: Ist der Umstand, dass Sie sich selbst stets als nicht explizit kinderlieb bezeichnen, eigentlich ein Vorteil für eine Kinderbuchautorin?

Nöstlinger: Ich würde schon für mich in Anspruch nehmen, menschenlieb zu sein - aber nicht speziell einer gewissen Altersgruppe zugetan. Ich mag manche Kinder überhaupt nicht - und vielleicht eigne ich mich deshalb besonders zum Kinderbücher-Schreiben. Es gibt unsympathische, grauslige Kinder. Der Mensch wird ja nicht an seinem 18. Geburtstag zum Ungustl, das entwickelt sich früher.

APA: Und für die schreiben Sie Ihre Bücher nicht?

Nöstlinger: Ich schreibe schon auch für die grausligen Zehnjährigen - wenn sie meine Bücher lesen wollen. Aber ich glaube nicht, dass sie sich mit den Figuren identifizieren.

APA: Was möchten Sie mit Ihren Werken erreichen?

Nöstlinger: Das Beste, was meine Bücher können, ist Kinder zu trösten. Das höre ich immer wieder von heutigen Erwachsenen. Am Anfang hat mich das sehr erstaunt - jetzt bin ich es schon gewöhnt. Astrid Lindgren hat einst zu mir gesagt, dass sie mit ihren Büchern Kinder trösten möchte. Ich habe damals - jung und arrogant - zu ihr gesagt: Das ist mir zu wenig. Ich will die Kinder aufmüpfig machen, aber doch nicht trösten. Jetzt, 40 Jahre später, muss ich einsehen, dass sie Recht gehabt hat.

APA: Sind Sie im Alter milder geworden?

Nöstlinger: Ich bin als Mensch nicht milder geworden, aber ein bisschen trauriger, desillusionierter. Und das wirkt sich natürlich auf das aus, was man schreibt. Wenn ich mir die Weltlage anschaue, habe ich keinen Grund, nicht traurig zu sein. Ich wäre lieber wütend - aber dazu reicht es bei mir nicht mehr. In den 70ern und 80ern dachte ich noch, dass die Kinder, für die ich schreibe, als Erwachsene ein besseres, sozialistischeres, linkeres Leben haben werden - und das ist alles nicht eingetreten.

APA: Wie sehen Sie das Chaos um die anstehende Bundespräsidentenwahl?

Nöstlinger: Ich stehe den Wahlkampf mit Grimm durch, weil ich ihn nicht für notwendig halte. Der Spruch des Verfassungsgerichtshofs halte ich für ein absolutes Fehlurteil. Ich glaube schon bald, dass es Hofer wird, wir Neuwahlen haben und einen Bundeskanzler Strache bekommen werden. Aber zum Auswandern bin ich zu alt - und ich wüsste auch gar nicht wohin.

APA: Haben Sie eine Erklärung für diese aufgeheizte Stimmung vieler Menschen?

Nöstlinger: Ich kann es nicht nachvollziehen. Ich dachte immer, dieser Bodensatz der Nation ist im Höchstfall knöcheltief - aber er wird schon langsam bachtief. Die Wut des Zeitalters wird immer tiefer. Man muss sich nur die sozialen Medien anschauen - da wird einem schlecht. So schlecht geht es den Menschen nicht, dass man es mit den Verhältnissen, in denen sie leben, erklären könnte. Man kann Hunderte Gründe anführen, aber langsam denke ich mir, dass das immer in den Menschen drin gesteckt ist, aber sie es nie so leicht artikulieren konnten. Bis man einen Leserbrief schreibt, dauert es. Im Internet braucht man nur seine zwei dicken Wurstfinger.

APA: War für Sie der Rückzug aus der Öffentlichkeit und der Gang in die Pension nie ein Thema?

Nöstlinger: Wovon soll ich leben? Ich bekomme ja keine Pension!

APA: Wie geht es Ihnen denn angesichts des nahenden runden Geburtstags?

Nöstlinger: Schlecht! Es gibt 80-Jährige, denen es gesundheitlich sehr gut geht - zu denen zähle ich nicht. Das Herz will nicht mehr, mehr als 60 Jahre Rauchen will die Lunge auch nicht, im vorigen Jahr habe ich mir das Kreuzbein gebrochen. Es steht nicht zum Besten - aber es ist noch ein angenehmes Leben. Ich gehöre aber nicht zu den Menschen, die hadern. Ich täte natürlich gerne ewig leben.

APA: Freuen Sie sich zumindest auf den Geburtstag?

Nöstlinger: Mir bedeutet dieser Geburtstag gar nichts. Und es ist ja auch keine Leistung, ein gewisses Alter zu erreichen. Da könnte man eher meiner Internistin und dem Onkologen gratulieren, dass sie mich so weit gebracht haben.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)