Organisierte sexuelle Ausbeutung von Kindern bleibt meist verborgen

Wien (APA) - Rituelle Gewalt und die organisierte sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen bleiben meist im Dunkeln. Da die Opfer hä...

Wien (APA) - Rituelle Gewalt und die organisierte sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen bleiben meist im Dunkeln. Da die Opfer häufig schweigen oder ihnen nicht geglaubt wird, kommt es selten zu Verurteilungen. Um Mitarbeiter in der Jugendhilfe dafür zu sensibilisieren, haben sich die österreichischen Jugendamtpsychologen bei einer Fachtagung im Wiener Rathaus mit der Thematik beschäftigt.

„Das Thema sexuelle Gewalt ist ein tabuisiertes Thema“, sagte Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ), die die zweitägige Veranstaltung am Donnerstag eröffnete. Mit dem Thema organisierte sexuelle Gewalt sei man jedoch auch in Wien immer wieder konfrontiert, besonders bei Kindern und Jugendlichen aus Osteuropa. „Wir wissen auch, dass der Menschenhandel, sehr oft verbunden mit sexueller Gewalt, ein ganz großer krimineller Wirtschaftszweig ist“, sagte Wehsely.

Rituelle Gewalt ist eine schwere Form der Misshandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, mit dem Ziel, die Opfer zu traumatisieren, einzuschüchtern und sie mit religiösen oder spirituellen Glaubensvorstellungen zu indoktrinieren, erklärte Sozialpädagoge Thorsten Becker. Zur organisierten rituellen Gewalt, wie sie Sozialwissenschafterin Claudia Igney versteht, gehören Zwangsprostitution, Kinderpornografie oder Menschenhandel. Die Täter seien entweder von einer satanischen oder faschistischen Ideologie getragen, es gebe aber zunehmend auch Gruppen, die sich rein kommerziell organisieren, so Igney.

Betroffene sind in der Regel schon ab der Geburt Opfer massiver Gewalt. „Häufig werden diese Kinder außerdem sehr früh dazu gezwungen, Gewalt gegen andere anzuwenden, um sie mitschuldig zu machen, zu erpressen und an die Gruppe zu binden“, sagte Igney. Das alles erzeuge Parallelwelten in der Psyche des Kindes, was bis zur strukturellen Spaltung der Persönlichkeit gehen könne. Im Alltag hätten die Betroffenen, die einen unauffälligen gesellschaftlichen Alltag leben, kein Bewusstsein für die rituelle Gewalt. „Das ist ein Überlebensmechanismus, der helfen kann, diese Erfahrungen zu überstehen.“ Häufig werde die sogenannte dissoziative Identitätsstörung nicht erkannt oder diagnostiziert. In den Gruppen, die rituelle Gewalt ausüben, gebe es oft Experten, die genau wissen, welche Gewalt sie anwenden müssen, damit solche Spaltungen entstehen. Dadurch machen sie die Opfer belastbarer und schützen sich vor Strafverfolgung. „Ziel ist ein inneres System von Persönlichkeiten, die durch die Täter abrufbar und steuerbar sind und an die das Kind im Alltag keine bewusste Erinnerung hat“, sagte Igney.

Die Strafverfolgung gestalte sich besonders schwierig, da die polizeilichen Ermittlungen aufgrund der Bewusstseinskontrolle oft durch die Betroffenen selbst unterlaufen würden, solange noch Kontakt zu den Tätern besteht. Bei Menschen, die bereits ausgestiegen sind und keinen Täterkontakt mehr haben, gebe es keine Sachbeweise mehr und die Betroffenen würden oft als nicht aussagetüchtig erachtet. Weitere Probleme seien Unwissenheit und Unglauben, sagte Igney. „Dass die Täter mitten unter uns sind, kann extreme Abwehr auslösen.“

Der Ausstieg sei schwierig und gelinge in der Regel erst im Erwachsenenalter. „Kinder bleiben häufig unterm Radar“, so Igney. Erkannt werden können Betroffene dennoch, wenn sie entweder selbst am Ausstieg arbeiten, ihre Persönlichkeitsstörung auffällig wird oder wenn sie durch Verletzungen, Schlafstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten in Behandlung kommen.

Neben dem äußeren Ausstieg durch konsequenten Kontaktabbruch, Namensänderung und Umzug sei auch der innere Ausstieg sehr wichtig. Die Betroffenen müssten die Ideologie überwinden und lernen, mit der Vergangenheit zu leben. Die langen Traumatherapien würden jedoch von den Krankenkassen nicht ausreichend finanziert, kritisierte Igney. Handlungsbedarf sieht sie bei der konkreten Unterstützung der Betroffenen, indem Therapien und Ausstiegsbegleitung angeboten werden. Außerdem brauche es Fortbildungen für medizinische Berufe, Sozialarbeiter, Polizei und Jugendamt.

Zahlen zur organisierten rituellen Gewalt gibt es keine. In Deutschland, wo die Thematik bereits stärker ins Bewusstsein gerückt ist, wurden mehrere Pilotstudien durchgeführt, von denen eine ergeben habe, dass zwölf bis 13 Prozent der befragten Psychotherapeuten bereits mit dem Problem ritueller Gewalt konfrontiert worden seien, doch auch das sei keine „belastbare Zahl“, so Igney. „Dieses Problem gibt es auch in Österreich, da soll man sich keine Illusionen machen“, betonte sie.