Karriereplan: Hochstapler
Jahrelang gab sich Gert Postel als Leitender Oberarzt einer Nervenklinik aus. Dabei ist er lediglich ausgebildeter Postbote. Kommenden Donnerstag liest Postel in Innsbruck aus seiner Biografie.
Von Judith Sam
Innsbruck –Woche für Woche empfehlen Ärzte wirksamere Medikamente oder innovativere Ernährungskonzepte. Der Patient neigt dazu, den Experten zu glauben. Doch was passiert, wenn sich herausstellt, dass der „Gott in Weiß“ in Wirklichkeit gerade mal die Hauptschule abgeschlossen hat? Eine Frage, die Gert Postel wohl am besten beantworten kann: Der gelernte Briefträger aus Bremen gab sich jahrelang erfolgreich als Leitender Oberarzt und Stellvertretender Direktor einer Nervenklinik nahe Leipzig aus: „Ich hätte damals jeden von der Straße zwangseinweisen können.“
Damit nicht genug: Der heute 58-Jährige war zwischen 1982 und 1997 Vorsitzender von Fachärzte-Ausschüssen, Ausbilder, Gerichtsgutachter und nahm Ärzten Prüfungen ab. So manches Zeugnis trägt noch heute die Unterschrift des Mannes, der selbst nur die Abschlussprüfung im einfachen Postdienst absolviert hat: „Trotzdem wurde meine Qualifikation nie angezweifelt. Im Gegenteil. Mein Chef meinte, als Oberarzt übertreffe ich alle Erwartungen.“
Kein Wunder, schließlich tritt Postel mit seiner schlanken Gestalt und der dünnrandigen Brille nicht nur seriös auf. Er ist auch ein Meister darin, mit Worten regelrecht zu jonglieren: „Bei einem Bewerbungsgespräch erklärte ich, dass meine Doktorarbeit von der ,kognitiv induzierten Verzerrung in der stereotypen Urteilsbildung‘ handelt. Das ist nicht mehr als eine Aneinanderreihung leerer Worte, kam aber stets sehr gut an.“
Er erfand sogar Krankheitsbegriffe: „Die ,bipolare Störung dritten Grades‘ etwa. Die hat nie jemand hinterfragt. Einmal meinte ein Professor sogar, die Krankheit käme im universitären Alltag nicht häufig vor, aber sie käme vor.“
Die Idee zu Postels „Karriere“ kam nicht von ungefähr. Als er 21 war, beging seine Mutter Selbstmord: „Sie litt an Depressionen und bekam vom Arzt fatale Medikamente.“ Statt die Symptome zu mildern, nahm sie antriebssteigernde Mittel ein, die sie so weit aus der Lethargie rissen, dass sie gerade genug Energie aufbrachte, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. „Das ist nur ein Aspekt, aber seitdem wollte ich mich öffentlich über die Psychiatrie lustig machen“, erinnert sich Postel.
Nach dem Lesen unzähliger Fachbücher und mit dem falschen Namen Dr. Dr. Clemens Bartholdy sowie getürkten Zeugnissen gewappnet, wurde Postel 1982 als stellvertretender Amtsarzt in Flensburg eingestellt: „Damals hatte ich quasi kein soziales Umfeld. Hätte ich auch nur einen Hund besessen, um den ich mich kümmern muss, hätte ich das nicht gemacht.“
Postel in Innsbruck
Am 20. Oktober wird Gert Postel ab 19 Uhr im Haus der Begegnung in Innsbruck aus seinem Buch „Doktorspiele“ lesen und anschließend darüber diskutieren. Die freiwilligen Spenden für den Eintritt kommen „Emotion, dem Verein für gesellschaftliche Entwicklung“ zugute. Infos: www.gert-postel.de oder via Twitter @PostelGert.
In den knapp acht Monaten, in denen Postel als Amtsarzt tätig war, vermied er nämlich sämtliche privaten Kontakte: „Ich wollte ja keine anständigen Menschen belügen.“
Der Schwindel flog nur auf, weil Postel seine Geldtasche verlor und darin Ausweise von Bartholdy und Postel mit demselben Foto auftauchten. Mit nur rund 300 Euro Geldbuße wollte das Gericht den damals 24-Jährigen milde in die Schranken weisen. Ein vergeblicher Versuch: Schon 1995 folgte der nächste Streich – bei dem Postel auf einen „Künstlernamen“ verzichtete.
Er setzte sich bei einem Bewerbungsgespräch gegen 39 Ärzte durch und wurde als Leitender Oberarzt in einer 140-Betten-Klinik in der sächsischen Stadt Colditz eingestellt: „Damals ließ ich bei Prüfungen den einen oder anderen geldgierigen Arzt durchfallen. Aus Verbraucherschutzgedanken sozusagen.“
Zwei Jahre später führte wieder der Zufall Regie, als die Eltern einer Kollegin Postels Namen mit dem Briefträger in Verbindung brachten und den Klinikchef informierten: „Wäre ich nicht enttarnt worden, hätte ich alles aufgeklärt. Das war von Anfang an der Plan.“ Nichtsdestotrotz wurde Postel anschließend zu vier Jahren Haft verurteilt.
Trotz der harten Strafe bereut der heutige Buchautor seinen Lebenslauf nicht. Als „Hochstapler unter Hochstaplern“ hat er sein Ziel – zu zeigen, dass man Ärzte durchaus hinterfragen darf – erreicht: „Damals wollte ich von einem ,Kollegen‘ wissen, was er macht, wenn ein Patient nichts sagt. Schließlich ist man darauf angewiesen, um eine Diagnose zu stellen. Der Psychiater meinte gönnerhaft: ,Dann schreibe ich, dass er eine symptomstarke autistische Psychose hat.‘“ Postel schluckt schwer: „So ein Urteil kann ein Leben ruinieren.“