Der stärkste Instinkt: Reinhold Messner mit Regiedebüt
„Still alive“ lautet die Verfilmung eines Tiroler Bergdramas, Reinhold Messner hat erstmals Regie geführt. Bei der Premiere in Bozen sprach er über Überlebensinstinkt und Unvernunft.
Fels- und Eiskletterer, Höhenbergsteiger, Wüsten- und Eisdurchquerer, Wissenschafter, Politiker, Museumsgründer und jetzt auch noch Regisseur: Was eint alle diese Leben des Reinhold Messner?
Reinhold Messner: Ich bin in diesen siebten Abschnitt meines Lebens wieder mit derselben Neugierde, mit denselben starken Emotionen und demselben Umsetzungswillen hineingegangen wie bei allen meinen Unternehmungen. Und immer, wenn etwas Neues beginnt, beschäftigen mich viele Fragen — wie z. B. etwas funktioniert und wie man es besser machen kann.
In „Still alive" (Noch am Leben) geht es um die Rettung des Innsbruckers Gert Judmaier, der 1970 am Mount Kenia in Kenia verunglückt ist. Was hat Sie an der Geschichte fasziniert?
Messner: Es ist ein Wunder, dass die Rettung von Gert Judmaier gelang. Dieses Wunder verdanken wir in erster Linie den damaligen Tiroler Bergrettern — das waren die besten der Welt. Aber viel mehr interessieren mich die Emotionen von Judmaier und seinem Bergkameraden Oswald Oelz: Dass sich der eine in die Tiefe fallen lassen will und der andere hofft, dass sein abgestürzter Freund endlich stirbt, auf dass das Ganze ein Ende hat — diese zerrissenen Gefühle machen den Film so stark.
Wie stark ist denn der Überlebenswille? Und wie stark der Geist, wenn der Körper am Ende zu sein scheint?
Messner: Wenn es darauf ankommt, können wir Menschen viel mehr zulegen als wir uns zumuten. Und es ist interessant, dass der Überlebensinstinkt der stärkste Instinkt ist. Ich bin mir auch sicher, dass von 1000 Leuten in so einer Situation nur zwei überlebt hätten — alle anderen wären gestorben. Judmaier hatte einen ungemein starken Überlebenswillen, und der ist letztendlich eine Frage der mentalen Kraft, die letztendlich wichtiger ist als die physische. Es lohnt sich also, sein Leben mit den Zähnen und den Fingernägeln zu verteidigen und es lohnt sich, sein Leben zu leben — das will ich mit diesem Film auch zeigen.
Vor 40 Jahren steckte die Rettung aus alpiner Notsituation in den Kinderschuhen. Heute beklagen Bergretter die Vollkasko-Mentalität vieler Menschen, die in die Berge gehen. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Messner: Heutzutage ist alles Sport und Wettkampf, heutzutage gehen viele ins Gebirge und denken sich, da kann nichts passieren und im Ernstfall holt mich der Hubschrauber. Da sind zum Teil die alpinen Vereine schuld, weil sie suggeriert haben, dass am Berg nichts passieren kann. Da sollte man sich viel öfter Paul Preuss, den 1913 verstorbenen Alpinisten, ins Bewusstsein rufen. Der hat gesagt: „Das Können ist des Dürfens Maß." Ich darf also nur das machen, was ich auch kann — und trotzdem kann in der Natur immer etwas passieren.
Zurück zum Film: Gert Judmaier und Oswald Oelz erzählen in „Still alive" von dem Unglück, nachgestellt wird die Geschichte von den Tirolern Hansjörg und Vitus Auer. Wie haben sich die beiden Brüder vor der Kamera bewährt?
Messner: Hansjörg Auer ist einer der weltbesten Kletterer und sein Bruder Vitus ein begnadeter Schauspieler — da gibt es ein paar Szenen, das kann ein guter Schauspieler nicht besser machen.
„Reinhold Messner will mit einem von ihm geschriebenen Treatment für einen Bergsteigerfilm in Hollywood Karriere machen", hat es unlängst geheißen. Ist das Ihr nächstes Projekt im siebten Lebensabschnitt?
Messner: Der Hollywoodfilm ist noch in weiter Ferne. Aber Sie müssen sich nur eines merken: Ich hätte Filmstoff für ein weiteres Leben.
Das Interview führte Irene Rapp
Eine Premiere mit viel Gefühl
Bozen — Wie ist es, für eine Szene vor der Kamera zu stehen? Und wie, erstmals den ganzen Film zu sehen? Montagabend wurde die Premiere der ServusTV-Produktion „Still alive" im Messner-Mountain-Museum auf Schloss Sigmundskron bei Bozen gefeiert — u. a. mit Regisseur Reinhold Messner und den Hauptakteuren. „Sehr gut und authentisch", lautete etwa der Kommentar von Gert Judmaier. Er hatte 1970 als 29-Jähriger am Mount Kenia bei einem Absturz einen offenen Unterschenkelbruch erlitten, litt Höllenqualen. Schmerzen, die man dem Umhauser Hansjörg Auer (32) in seiner Rolle als Judmaier ansieht. „Dass die Dreharbeiten in Sulden bei grausigem Wetter stattgefunden haben, hat diesen Gesichtsausdruck erleichtert", erklärte er.
Die Geschichte am Mount Kenia sei ihm und seinem Bruder Vitus, der Judmaiers Bergkameraden Oswald Oelz spielt, unter die Haut gegangen. Beide kletterten dafür auf den Gipfel des 5199 Meter hohen Berges, auch an der Absturzstelle wurde gedreht.
„Der Dreh mit meinem Bruder war lässig, weil einer den anderen genau kennt." Vitus Auer indes sagt Messner bereits eine mögliche Schauspiel-Karriere voraus, so gut sei dessen Performance vor der Kamera gewesen. „Das freut mich natürlich sehr", reagierte der 25-Jährige.
Oelz hatte nach dem Absturz Hilfe organisiert, aus Tirol reisten dafür sechs Bergretter an. Einer davon, Walter Spitzenstätter, ist ebenfalls in „Still alive" zu sehen. „Niemand hat damit gerechnet, dass wir Gert noch lebend bergen", kann er sich an die Vorkommnisse von vor über 40 Jahren erinnern. Der 75-jährige Judmaier und Oelz sind übrigens immer noch enge Freunde, heute Abend ist auf ServusTV ihre Geschichte zu sehen (20.15 Uhr). (i.r.)