Autismus

Leicht hat’s nur der Durchschnittliche

Autisten verstehen die Menschen rund um sich nicht, ziehen sich zurück und bekommen nur noch mehr negative Resonanz von ihrer Umwelt.
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Ist Autismus eine Krankheit, eine Störung oder gar nur eine Variante des Normalen? Antworten darauf gibt der Experte Ludger Tebartz van Elst in Innsbruck. Nur wer so ist wie alle anderen, fällt nicht auf und eckt nicht an.

Von Gabriele Starck

Innsbruck –Der Außenseiter in der Klasse, der Nerd im Studium, die Bekannte, die keinen Scherz lustig findet. Der Ordnungsfreak, der die Stifte auf seinem Schreibtisch nach einem ganz bestimmten System ausrichtet. Die Freundin, die große Veranstaltungen und Berührungen scheut.

Menschen, die immer schon ein bisschen anders waren und einige dieser Merkmale aufweisen, könnten hochfunktionale Autisten sein. „Noch immer wird Autismus übersehen, und das häufig“, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Ludger Tebartz van Elst von der Uni-Klinik Freiburg. Denn je geringer ausgeprägt der Autismus und je intelligenter die Betroffenen, desto besser seien auch ihre Kompensationsstrategien, sagt der Experte. Sie meiden Situationen, mit denen sie nicht zurechtkommen, oder ziehen sich zurück.

Autisten reagieren oft harsch, entwickeln aus ihrem Anderssein eine paranoide Denkstruktur, meiden andere. Einfach, weil sie die Menschen rund um sich nicht verstehen. Weil sie Ironie oder Zweideutigkeiten nicht erkennen und Redensarten wortwörtlich nehmen. Und weil sie das Lachen anderer auf sich beziehen.

Autismus-Experte Ludger Tebartz van Elst
© Tebartz van Elst

Um diesem Teufelskreis zu entgehen, ist es wichtig, dass sich die Betroffenen dessen bewusst werden, um damit klug umgehen zu können. Manche kämen von selbst zur Spezialsprechstunde, weil sie es vermuten. Doch bei vielen sei zuvor die falsche Diagnose gestellt worden. Depressionen, kombinierte Persönlichkeitsstörungen, bei Frauen oft Borderline. Dabei seien die Wutattacken nichts anderes als eine Reaktion auf die Reizüberflutung.

Tebartz van Elst wirbt für mehr Verständnis für diese Menschen. „Man muss aus den Köpfen rauskriegen, immer alles als Erbkrankheit zu verstehen.“ Autismus sei nicht immer eine Krankheit oder Störung. Jeder habe eine Persönlichkeit, das sei im Wesentlichen genetisch mitbestimmt, „genauso wie die Körpergröße“. Es gehe darum, zu lernen, wie man mit seinen Anlagen umgeht, betont der Psychiater: „Dirk Nowitzk­i mit seinen 2,13 Metern hätte über seine Größe auch verbittert sein können.“ Stattdessen habe er sie genutzt und gehöre nun zu den weltbesten Basketballern.

Natürlich habe ein 2,13 Meter großer oder ein 1,60 Meter kleiner Mann mehr Probleme als einer mit 1,80 Metern. Auch hier bestehe das Risiko, dass sich dieser Mensch zurückzieht. „Bei einem Durchschnittsmenschen ist die Wahrscheinlichkeit, gehänselt zu werden, viel geringer.“

So wie Nowitzki mit seiner Größe habe es Einstein mit seinem Autismus weit gebracht. „Er bewegte sich entkoppelt von der Umwelt in seiner eigenen Gedankenwelt und konnte dadurch Neues ersinnen.“

„Warum funktioniert es bei Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise – dem Paradebeispiel eines hochfunktionalen Autisten? Weil man ihn an seinen spitzen Ohren als Vulkanier erkennt und so ganz automatisch sein Anderssein akzeptiert und respektiert.“

Vortrag und Diskussion:

Der Autismus-Experte Ludger Tebartz van Elst spricht am Dienstag, 18. Oktober, um 19 Uhr im Rahmen des vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs f44 im „Centrum für Chemie und Biomedizin“ (CCB) Hörsaal L.EG200, Innrain 80—82, in Innsbruck. Das Thema: „Autismus — Krankheit, Störung oder Variante des Normalen“. Foto: Ludger Tebartz van Elst