Gesellschaft

Finger weg vom Fund im Eis

Vom Gletscher freigegeben. Wrack einer deutschen Junkers 52, notgelandet 1941 auf dem Umbalkees in der Venedigergruppe.
© Harald Stadler

Die Gletscher schmelzen, immer mehr jahrhundertealte Fundstücke apern aus. Oft landen diese jedoch in den Händen von Laien und Sammlern anstatt im Museum.

Von Markus Schramek

Innsbruck –Und noch einmal Ötzi. Die Gletschermumie war heuer schon (wieder) ein Medienstar. In allen Facetten wurde daran erinnert, wie sich der Fund des Mannes am Tisenjoch, am Übergang zwischen Süd- und Nordtirol in den Ötztaler Alpen, zugetragen hatte. Damals vor 25 Jahren im September 1991. Und dabei lief beleibe nicht alles glatt. Ötzis Wert für die Wissenschaft wurde anfangs verkannt. „Es wurde im Eis herumgestochert und der Ötzi selbst recht unsanft herausbugsiert“, beschreibt es Mumienexperte Albert Zink.

Ötzi entpuppte sich als Weltsensation, ein gut erhaltener Fund aus der Jungsteinzeit, konserviert vom Gletscher, 5300 Jahre alt. In seinem Sog etablierte sich eine neue wissenschaftliche Disziplin: Gletscherarchäologie. Forscher auf diesem Gebiet tauschen sich derzeit bei einer internationalen Tagung der Uni in Innsbruck über neueste Funde aus.

Und deren gibt es genug. Denn der Eisschwund, eine Folge der Klimaerwärmung, lässt im gesamten Alpenraum serienweise Gegenstände ausapern. Zwar nicht von der Bedeutung des Ötzi, aber höchst bemerkenswert sind auch diese allemal: ein steinzeitlicher Bogen samt Futteral in den Berner Alpen, ein Schlitten aus dem Mittelalter am Gurgler Eisjoch in Südtirol, ein Schneeschuh aus Birkenholz, noch älter als der Ötzi, an derselben Fundstelle.

5800 Jahre alter Schneeschuh aus Südtirol
© LPA

Letzteren Schuh hatte ein italienischer Kartograf schon 2003 bei Vermessungsarbeiten entdeckt, ihn als Souvenir mitgenommen und auf einen Kleiderständer gehängt. Er ahnte nicht, wie alt dieser Gehbehelf sein würde: immerhin fast 5800 Jahre. „Nur per Zufall haben wir 2015 davon erfahren“, erzählt Hubert Steiner vom Südtiroler Amt für Denkmalpflege.

Dieser kuriose Fall ist nicht untypisch. „Laien, meist Wanderer oder Bergsteiger, stoßen als Erste auf Funde, die aus dem Eis herausragen“, erläutert Harald Stadler, Archäologieprofessor an der Uni Innsbruck. Man sei darauf angewiesen, dass Sichtungen gemeldet werden.

Habseligkeiten der Besatzung
© Harald Stadler

„Prämien können wir dafür aber nicht bezahlen“, schränkt der Professor ein. Andererseits müsse aber auch niemand mit Konsequenzen rechnen, wenn er, wie im Fall des Südtiroler Schneeschuhs, einen Fund erst nach Jahren den Experten übergibt. Der Appell der Gletscherarchäologen ist jedenfalls eindeutig: „Funde im Eis bitte nicht mitnehmen, sondern fotografieren, markieren und rasch die zuständigen Stellen informieren.“ Stücke und Teile aus Holz, Leder, Fell, Knochen, Metall, Textilien und aus Stein – alles ist von Interesse.

Nicht jeder Gletscherfund reicht zurück bis in graue Vorzeit. Gletschermumien, 300 bis 400 Jahre alt, tauchen immer wieder auf, besonders oft an Übergängen und Jochen, an alten Transportwegen im Gebirge also. In Südtirol stammen viele Funde aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Vor 100 Jahren war das dortige Hochgebirge Kampfzone. „Am Ortlergebiet gibt es immer wieder neue Funde aus dieser Zeit“, weiß Hubert Steiner.

Für die Wissenschaft bedeutet die Sichtung historischer Überreste auch Stress. „Manche Personen, so genannte Raubgräber, suchen in Regionen wie dem Ortler gezielt nach Überresten des Krieges und nehmen alles mit“, sagt Steiner. Man müsse schneller sein als sie. Schnelligkeit ist auch sonst das passende Stichwort. Denn nach dem Ausapern von Fundstücken sollten diese möglichst rasch geborgen werden; andernfalls wären sie, nach dem Verlust der schützenden Eisschicht, dem Verfall preisgegeben.

In nächster Zeit können Gletscherarchäologen wohl wieder ruhiger schlafen: Der frühe Neuschnee hat das ewige Eis zugedeckt. Und damit auch so manches Überbleibsel aus alter Zeit.

Mumie und Waffe eines Wilderers, gefunden 1929 am Gradetzkees in Kals.
© Harald Stadler