Der „rechte“ Weg – jetzt auch in Deutschland?
Nach Viktor Orbán, Heinz-Christian Strache nun auch Donald Trump – der Siegeszug der Rechtspopulisten setzt sich fort. Nur Deutschland war lange Zeit immun. Bis die AfD auf der politischen Bühne auftauchte.
Von Reinhold Gärtner
2014 schaffte die AfD, die Alternative für Deutschland, zunächst den Einzug ins Europäische Parlament (7 Prozent), anschließend mit jeweils um die 10 Prozent den Sprung in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg. 2015 folgten Hamburg (6,1 Prozent) und Bremen (5,5 Prozent) und 2016 geht es weiter bergauf: Baden-Württemberg (15,1 Prozent), Rheinland-Pfalz (12,6 Prozent), Sachsen-Anhalt (24,3 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (20,8 Prozent) und schließlich Berlin mit 14,2 Prozent.
2017 finden Bundestagswahlen statt – beim ersten Antreten war die AfD 2014 noch knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert.
Gegründet wurde die AfD im Jahr 2013 als EU-skeptische und wirtschaftsliberale Partei, mittlerweile kann die AfD ohne Zweifel als rechtspopulistische, nationalkonservative Partei definiert werden, die durchaus die Nähe zu rechtsextremen Kreisen sucht. Sie praktiziert jene strategischen Muster, die von anderen ähnlich orientierten Parteien quer durch Europa leidlich bekannt sind: Betonung von Angst und Ohnmacht; Warnung vor allerlei Bedrohungen des reinen (deutschen) Wesens bzw. der christlich-abendländischen Kultur.
Was die AfD erfolgreich praktiziert, haben andere schon vorgemacht: die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, UKIP in Großbritannien, die Dansk Folkeparti in Dänemark oder Perussuomalaiset in Finnland, um nur einige zu nennen. In Deutschland konnten bisher auf Bundesebene rechtsextreme Parteien nicht reüssieren: Die Reps (Republikaner) waren Ende der 1980er bzw. während der 1990er ebenso nicht mehr als ein Strohfeuer wie die DVU (Deutsche Volksunion) oder allem Anschein nach die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands). Von einigen Erfolgen auf Länderebene abgesehen konnten sie sich nicht wirklich durchsetzen, sie sind mittlerweile (Reps, DVU) Geschichte oder (im Falle der NPD) im Abstieg begriffen. Ihnen allen haftete der Stallgeruch des Nationalsozialismus an, sie wollten (oder konnten) sich davon nicht lösen. Und mit NS-Nostalgie ist in Deutschland nach wie vor kein großer politischer Erfolg zu erzielen. Zu nachhaltig ist das politische Bewusstsein sowohl des Großteils der Eliten als auch jenes der übrigen Gesellschaft, dass dieses verbrecherische Kapitel keine wie auch immer geartete Fortsetzung haben dürfe.
Die bisherige, vergleichsweise deutliche Schwäche von rechtsextremen bzw. rechtspopulistischen Parteien in Deutschland hat aber auch andere Gründe: durch die Tatsache, dass in Deutschland große Koalitionen relativ selten gebildet wurden, war eine der bislang großen Parteien – SPD oder CDU/CSU – in Opposition. Den jeweiligen Protest gegen die Regierung konnte dann diese große Oppositionspartei für sich gewinnen. Auch Landtagswahlen waren sehr oft ein Ventil für Protest gegen die Bundesregierung. Des Weiteren zeigten Reps, DVU und NPD kaum wirkliche Bereitschaft zur Kooperation; die rechtsextremen Parteien waren untereinander heillos zerstritten.
Neue Parteien waren bisher in Deutschland bei Landtagswahlen kurzfristig erfolgreich. Langfristig etablieren konnten sich mit Grünen und Die Linke nur jene, die auch den Sprung in den Bundestag schafften. Auf Landesebene blieb es ansonsten beim Strohfeuer: Reps, DVU und NPD sind ebenso wieder verschwunden wie die Hamburger Statt-Partei oder die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei, 2001 auf Anhieb 19,4 Prozent). Und die Piraten sind wieder in der Versenkung verschwunden (oder auf dem Weg dorthin).
Was macht nun die AfD anders; warum scheint die AfD erfolgreicher zu sein als die anderen genannten Parteien?
Zunächst profitiert die AfD vom Protest gegen die beiden Großen, CDU/CSU und SPD. Diese können zunehmend weniger WählerInnen für ihre Ideen und Vorhaben begeistern, zumal auch beim Thema Asyl und Flüchtlinge alles andere als eine einheitliche Linie festgestellt werden kann.
Die CDU/CSU konnte bis Mitte der 1990er-Jahre je-weils mehr als 40 Prozent erringen, seitdem pendelte sie um die 35 Prozent (mit der Ausnahme 2013, als sie nochmals 41 Prozent erreichen konnte – der damalige Kollaps der FDP relativiert aber dieses Ergebnis). Die SPD lag bis 1998 meist zwischen 30 Prozent und 40 Prozent; seit den 40 Prozent von 2002 ging es aber steil bergab auf 23 Prozent (2009) und 26 Prozent (2013). Gesunken ist auch die Wahlbeteiligung, von 82 Prozent (1998) auf 71 Prozent (2013).
Die AfD profitiert von dieser Entwicklung. Ihr gelingt es stärker als allen anderen Parteien, Nichtwähler anzusprechen, jenen eine neue Heimat vorzugaukeln, die in der bisherigen Parteienlandschaft heimatlos geworden sind, die nicht mehr daran glauben wollten, dass sie gehört werden, dass ihre Stimme auch Gewicht haben könnte. Diesen Unzufriedenen wird „emotionaler Heimatschutz“ (Stephan Grünewald in Die Zeit) angeboten.
Der aktuelle Erfolgslauf der AfD hat aber auch strategische Gründe. Wie andere rechtspopulistische Parteien betreibt die AfD massive negative Emotionalisierung, sie polarisiert bewusst und hält jene Ängste am Köcheln, die sie vorher geschickt in den Köpfen implementiert hat.
Eine der Methoden, die von solchen Parteien immer wieder angewandt wird (und auch aus Österreich bestens bekannt ist), ist jene der Provokation bzw. bewussten Falschmeldung und der anschließenden Relativierung und Dementis. Der eine betont zuerst mit deutlich rassistischem Gehabe, dass Jérôme Boateng zwar als Fußballer, nicht aber als Nachbar erwünscht sei. Darauf angesprochen meint er, den Namen Boateng gar nicht erwähnt zu haben, um sich letztlich von der Aussage zu distanzieren.
Die andere behauptet, eine Universität würde gegen ihre Mitglieder mit Disziplinarmaßnahmen vorgehen, sollten diese an politischen Demonstrationen teilnehmen – um postwendend einzugestehen, dass das so nicht stimme. Auch der offene Aufruhr zum Schusswaffengebrauch gegen Asylwerber wurde kurz später relativiert. So ganz ernst sei das alles nicht gewesen. Egal: Der erste Satz, die ursprüngliche Behauptung bleibt wesentlich stärker im Gedächtnis als der halbherzige Widerruf.
Damit aber schafft die AfD, schaffen AfD-PolitikerInnen ein Klima der Angst und Bedrohung, der scheinbaren Benachteiligung der Eigenen gegenüber den Anderen, des in ihren Augen ungerechten Drucks der politischen Eliten gegen den als ehrlich und wehrlos eingestuften Rest der Bevölkerung, gegen das „Volk“. Und diese Ängste werden umso eher manifest, je weniger die anderen politischen Parteien, je weniger die Bundesregierung glaubwürdige und umsetzbare Konzepte vorzulegen imstande ist.
In Kauf genommen wird von WählerInnen der AfD bislang, dass hier auch jene eine Heimat finden, „die äußerst rechten bis rechtsextremen Ideen anhängen. Hier verbinden sich politische Haltungen, die in der Geschichte der Bundesrepublik im parlamentarischen Raum so stark noch nie zusammengefunden haben. So sehr CDU und CSU in der Vergangenheit darum bemüht waren, rechts von ihnen keinen Platz zu lassen, so klar war die Grenze zum Extremismus gezogen. Das ist bei der AfD nicht der Fall“, betonten kürzlich Kai Biermann u. a.
Bedenklich ist daher einerseits die Existenz und zunehmende Stärke rechtspopulistischer Parteien, die den Weg der Entsolidarisierung, Radikalisierung, Destabilisierung und Polarisierung gehen und teilweise überwunden geglaubte Phänomene wie Nationalismus und Hetze eifrig wiederbeleben.
Bedenklich ist andererseits aber gleichzeitig die Ohnmacht der politischen Kontrahenten, der lange Zeit staatstragenden und konstruktiven konservativen und sozialdemokratischen Parteien. Und neue Alternativen außerhalb des politischen Rechtspopulismus können bislang mit ihren Konzepten gegen diese deutlich sichtbare politische Frustration (noch) nicht wirklich überzeugen. Ob aber die AfD langfristig Teil des Parteienspektrums bleibt oder aber an ihrer zunehmenden Radikalisierung scheitert, kann wohl erst in einiger Zeit seriös beurteilt werden.
Zur Person
Reinhold Gärtner ist Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Rechtspopulismus und politische Bildung.
reinhold.gaertner@uibk.ac.at