Fließer Almbaustelle auf 2300 Metern Höhe
Die Fließer Galtalm am Stierberg bekommt ein neues Zuhause. Das Almgebiet hätte mehrmals fast einen Krieg mit dem Engadin ausgelöst.
Von Matthias Reichle
Fließ, Spiss –Was die wenigsten wissen: „Fast die Hälfte der Gemeinde Spiss gehört uns“, erklärt Bürgermeister Hans-Peter Bock stolz. Die Alp Zanders ist seit jeher eine Fließer Kolonie – 50 Kilometer von der Heimatgemeinde entfernt bringen die Bauern ihr Vieh jedes Jahr auf zwei Almen, die Sennalm und die höher gelegene Galtalm. 11 Quadratkilometer gehören den Fließern selbst, auf anderen Gebieten haben sie Weiderechte. Bereits 1306 wird dies vom Landesfürsten urkundlich bestätigt. Heuer schlägt man nun in der schillernden Geschichte der Sommerweiden ein neues Kapitel auf.
Im späten Frühjahr wurde mit dem Bau eines neuen Wohngebäudes für die Galtalm am Stierberg begonnen. Das alte, das aus den 90er-Jahren stammt, war nicht mehr zeitgemäß. „Die Hirtenfamilie und ein Mitarbeiter mussten alle in einem Raum übernachten“, betont Bock. Dass das neue Gebäude aus Stahlbeton (mit Holz verkleidet) errichtet wird, hat ebenfalls mit der Geschichte der Alp zu tun. Im ersten Winter wurde die bestehende Hütte nämlich von einer Lawine 50 Meter talwärts mitgerissen – dort wieder aufgebockt und weiterverwendet.
Jetzt baut man wieder am ursprünglichen Platz, so Bock. Der Plan dafür stammt von Architektin Manuela Kneringer. Insgesamt investiert man 150.000 Euro. Die Alm selbst gehört zur Gemeindegutsagrargemeinschaft.
Jedes Jahr werden rund 220 Stück Galtvieh und 400 Schafe von Fließ auf die Galtalm aufgetrieben. Der Transport geschieht zu Fuß. Mit den Jungtieren fährt man an einem, mit dem Kühen an zwei Tagen von Zanders ab. Die Galtalm ist laut Alpmeister Reinhold Jäger eine der höchstgelegenen Tirols. Das Gebäude steht auf 2300 Metern, das Almgebiet reicht bis auf 2800 Meter hinauf.
An der Grenze zur Schweiz gelegen, war die Nachbarschaft der Almen zu den Engadinern nicht immer konfliktfrei, wie Chronist Robert Klien im Fließer Dorfbuch schreibt. Mehrfach hätte der Streit um das Gebiet fast einen Krieg ausgelöst, wie etwa Mitte des 16. Jahrhunderts. Immer wieder wurde von beiden Seiten provoziert. 1609 trieben zum Beispiel 70 bewaffnete Samnauner Bauern die Fließer Herden davon. 1612 pfändeten und verkauften die Fließer wiederum die Samnauner Kühe – sicher mehr als 100 Stück.
Fließ sei früh besiedelt worden, erklärt Klien, warum die Fließer nach Zanders kamen. Als die Bevölkerung zunahm, suchte man sich entferntere Weidegebiete in unbewohnten Gegenden. Im Engadin gibt es eine Sage zu den Vorgängen, die der Historiker Paul Grimm beschreibt. Demnach sollen die Engadiner Gemeinden Sent und Samnaun Teile der Alp Zanders besessen haben. Eine Magd aus Fließ, die einst für den Vorsteher von Sent gearbeitet haben soll, habe die Urkunden jedoch entwendet und nach Fließ gebracht, worauf sich die Gemeinde Fließ fortan geweigert hätte, den Zins zu zahlen. Bei einer Untersuchung in Zanders soll sich die Magd dann Erde aus Fließ in die Schuhe gestopft haben – worauf sie schwor, auf Fließer Boden zu stehen.