Gesundheit

Starke Frau mit Schwachstelle

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Frauen leben länger als Männer. Doch Männer holen auf. Darauf macht eine Kampagne der TGKK aufmerksam. Die steigende Mehrfachbelastung könnte Frauen krank machen.

Von Nicole Strozzi

Innsbruck –84,4 Jahre. So hoch ist die Lebenserwartung von Frauen in Tirol. Die Tirolerinnen leben damit im Schnitt vier Jahre länger als die Männer. Diese „Feminisierung des Alters“ ist ein weltweites Phänomen und zieht sich quer durch alle Gesellschaften. So weit, so gut und bekannt. Jetzt kommt das Aber: Die Männer holen auf. Während der Zuwachs der Lebenserwartung der Frauen in den letzten zehn Jahren 1,7 Jahre ausmachte, betrug jener der Männer 3,6 Jahre – „und damit nahezu das Doppelte wie bei den Frauen“, betont Arno Melitopulos, Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK).

Die TGKK nahm dies zum Anlass, in einer Initiative den Fokus verstärkt auf die Frauengesundheit zu legen. Seminare zum Thema Wechseljahre oder Vorträge in Schulen sollen u. a. Bewusstsein bilden und Frauen zu Vorsorgeuntersuchungen bewegen.

Warum das „starke Geschlecht“ an Jahren aufholt, darüber kann nur spekuliert werden. „Dass Männer in letzter Zeit viel mehr Gesundheitsbewusstsein entwickelt haben, dafür gibt es keine klaren Beweise“, sagt Melitopulos. Was die Statistiken aber sehr wohl zeigen, ist, dass Frauen Psychotherapien deutlich öfter in Anspruch nehmen als Männer (70:30 %). Dies könnte wiederum eine Folge der steigenden Mehrfachbelastung sein.

„Familie, Beruf, Kinder und die Pflege der Alten, Vierfachbelastungen in dieser Art kennen Männer kaum, auch weil sie nicht permanent ein schlechtes Gewissen haben“, gibt Margarethe Hochleitner, Direktorin des Frauengesundheitszentrums Innsbruck, zu bedenken. Der Perfektionswahn sei ein typisch weibliches Phänomen.

„Ob von der Natur oder der Gesellschaft gemacht, darüber kann man streiten“, so Hochleitner. Der soziale Druck sei jedenfalls enorm und könne Frauen krank machen. Männer und Frauen ticken nun einmal anders. Der Wunsch der Gendermedizinerin wäre es daher, mehr Bewusstsein für die körperlichen und psychischen Bedürfnisse der Frauen zu schaffen. Auch sollte die Medizin wie ein Maßanzug individuell auf Frauen und Männer angepasst werden. Ob jemand, der Tabletten einnimmt, 140 oder 60 Kilo wiegt, mache z. B. einen großen Unterschied aus.

„Die höhere Lebenserwartung der Frauen ist eine Täuschung, was die Gesundheit betrifft“, sagt Hochleitner. Mit dem Mehr an Jahren erkaufe man sich gleichzeitig auch eine längere Pflegebedürftigkeit. Im Unterschied zu Männern hätten Frauen im Alter nämlich meistens mehrere verschiedene Leiden und kranken vor sich hin. Bei Männern gehe es hingegen relativ lange „so halbwegs gut“, dann komme plötzlich der Crash. Hochleitner ist überzeugt: „Viele Frauen würden auf die vier Jahre mehr verzichten, solange sie gesund und selbstbestimmt leben können.“

„Das Hochpushen von Lebenserwartungsjahren soll nicht das Ziel sein“, ergänzt der TGKK-Direktor. Vielmehr gehe es um die Qualität der Jahre, die man auf Erden verbringt. Das Steigen der Lebenserwartung werde allgemein abebnen. „Wir gehen davon aus, dass es einen durchschnittlichen Endpunkt gibt“, blickt Melitopulos in die Zukunft. Neue Krankheitsformen wie Demenz oder Wohlstandserkrankungen, z. B. Übergewicht, wirken lebensverkürzend. In den USA geht die Lebenserwartung deswegen z. B. bereits zurück.

Warum Frauen (immer noch) länger leben, ist nicht so einfach zu sagen. „Die übliche Antwort würde lauten: Der riskantere Lebenswandel von Männern ist schuld. Das ist aber eher ein Vorurteil. Wir wissen z. B., dass Fehlgeburten häufiger bei männlichen Föten vorkommen“, erklärt Hochleitner. Und ja, Statistiken zeigen zwar, dass Frauen häufiger zum Allgemeinmediziner gehen. Aber dorthin gehen sie oft auch für ihren Mann oder ihre Kinder.

Viel wahrscheinlicher liege der Unterschied im Immunsystem. Die Abwehr ist bei Frauen aktiver, das ist vermutlich genetisch bedingt. Dennoch leiden Frauen mehr, weil genau dieses Immunsystem dazu führt, dass Autoimmunerkrankungen gehäuft vorkommen. Hinzu gesellen sich „Unruhen“ wie Wechseljahre oder Schwangerschaft.

Dass Frauen zufrieden sind und gesund altern, das will auch Dalila Medinov (40) erreichen. Die ehemalige Unternehmensberaterin aus Innsbruck hat die Plattform www.frauenimpulse.at gegründet und gibt Workshops, um Frauen zu stärken. „Frauen brauchen andere Frauen. Früher sind die Generationen abends zusammengesessen und haben sich ausgetauscht, heute ist das nicht mehr der Fall“, so Medinov. Die Workshops finden u. a. bei einem Spaziergang statt.

Schlechtes Gewissen, Perfektionismus, übermäßige Selbstkritik – Frauen sollten nicht so streng mit sich sein und nicht überall mitmachen. „So, wie man der besten Freundin begegnet, so sollte man sich auch selbst begegnen“, ist Medinov überzeugt.