Literatur

Nachschau halten in einer anderen Welt

© Thomas Boehm / TT

Karl-Markus Gauß nimmt uns mit nach Russe und zu den Gagausen nach Moldawien. Er ist nachsichtig mit Lesern, niemand wird von ihm bloßgestellt.

Von Michael Sprenger

Innsbruck –Was wissen wir von Bulgarien, was von der Republik Moldau, was von den Gagausen, was von der Wojwodina? Reichlich. Gegen Moldawien hat die Nationalmannschaft erst Fußball gespielt. In Bulgarien ist die Korruption weit verbreitet. Die Wojwodina erinnert uns an den jugoslawischen Bruderkrieg. Aber ­woran genau? Vom Turkvolk wissen wir noch weniger als von Futog und Russe, so wenig wie von der Republik Moldau.

Seit Jahren bringt uns Karl-Markus Gauß ein Europa außerhalb unseres Blickwinkels nahe. In seinem jüngsten Buch „Zwanzig Lewa oder tot“ bleibt uns Gauß ein wunderbarer Erzähler, ein geduldiger Reiseführer. Als ob er über unser Nichtwissen Bescheid weiß. Er geht immerzu einen bedächtigen Schritt voraus, bleibt stehen, wenn wir ins Staunen kommen, blickt zurück in das Vergangene, damit wir die Gegenwart begreifen lernen. Gauß erinnert uns in Plowdiw beiläufig an Dimitré Dinev, der von hier aus nach Österreich geflohen war, um dort einen der herausragendsten Romane unserer Zeit zu schreiben. Dabei sagte er uns, er „reise auch deswegen so gerne“, weil er „in der Fremde immer irgendwo auf den stoße, der ich einmal war oder der ich, ehe ich es vergessen hatte, geworden wäre“.

Als wir den ruhigen Flaneur aus Salzburg begleiten durften, da trafen wir viele Zeitgenossen, hörten vom Kaiserklo, lernten viel über das Gift des Nationalismus. Als Gauß dann in der Kirche seine Mutter als aufgeregtes Mädchen vor der Erstkommunion sah, da wollten wir die Kirche rasch verlassen. Zu intim; nicht stören.

Doch Gauß machte uns klar, dass er nur Nachschau hält in einer anderen Welt. Wichtig sei das ernsthafte Hinschauen. Dafür darf nichts der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Was nie geschieht.

Reisen Karl-Markus Gauß: Zwanzig Lewa oder tot. Zsolnay. 208 Seiten, 22,70 Euro. Lesung: Dienstag, 4. April, im Literaturhaus am Inn. Beginn: 19 Uhr.