Waidringer sorgt für den guten Ton
Als einer der letzten Handwerker seiner Art stellt Wolfgang Olivier Glocken aller Art her. In seiner Werkstatt in Waidring glüht nicht nur das Metall im 1280 Grad heißen Schmelzofen.
Von Miriam Hotter
Waidring –Der Schritt in die Werkstatt führt in eine andere Welt. Das schummrige Licht, das eine einzige Neonröhre spendet, erhellt den Raum nur spärlich. Schwarzer Staub liegt auf dem Boden, der die Wände mit den Jahren dunkel gefärbt hat. Gleich neben der Eingangstür steht ein Schmelzofen, in dem seit dem Morgengrauen rund 50 Kupferstäbe erhitzt werden.
Wolfgang Olivier lauscht dem Fauchen der Flammen, wie er es schon Hunderte Male getan hat, und wirft Zinnbecher nacheinander in den Ofen. „Kupfer und Zinn ergibt Bronze, damit arbeite ich hauptsächlich“, erklärt er. Der Schmelzpunkt von Bronze liege bei 1280 Grad Celsius. Erst wenn der Ofen diese Temperatur erreicht hat, kommt der nächste Schritt. Doch dazu später.
Olivier trägt eine grau-schwarze Schutzkleidung, sein Haar, silbern wie die Zinnbecher, reicht ihm bis zum Nacken. Der 49-Jährige leitet Lugmair’s Metallgießerei in der fünften Generation. „Mein Ururgroßvater hat die Gießerei gegründet.“ Im Jahr 1947 übernahm Oliviers Großvater die Gießerei. „Das war nach dem Zweiten Weltkrieg, es gab kaum Material“, erzählt Olivier. Doch sein Großvater wurde fündig: Ein amerikanischer Kampfflieger war an der Felswand am Fellhorn zerschellt. „Eine Lawine hat das Wrack dann bis in den Talboden getragen. Da die beiden Propeller der Maschine aus Bronze waren, hat sie mein Großvater mitgenommen und für die Gießerei verwendet.“
Nun ist es so weit. Das Metall im Ofen ist geschmolzen und ist flüssig wie Wasser. Der Guss kann beginnen. Olivier nimmt eine schwarze Mütze, die aussieht wie eine Skimaske, und stülpt sie über den Kopf. Nicht zu vergessen den Hitzeschutz-Helm und Handschuhe. Der Waidringer nimmt einen großen Schöpfer, taucht ihn in das orange leuchtende, flüssige Metall und gießt es anschließend in Eisenkästen mit vorgefertigten Formen aus Quarzsand.
Doch die Bronze ist nicht das Einzige in der Werkstatt, das glüht, sondern auch die Telefonleitung. „Ring-ring-ring“ ertönt es wiederholt aus einem Lautsprecher an der Wand. „Damit ich das Klingeln auch beim Arbeiten höre“, erklärt Olivier und widmet sich dem Mann an der anderen Leitung, der sich für die Herstellung einer Glocke interessiert. Der Handwerker stellt sie nämlich nur auf Bestellung her, auf Lager hat er keine.
An diesem Tag werden vor allem Glocken für Viehzuchtverbände gegossen. Kuhglocken, Pferdeglocken, Schaf- und Ziegenglocken – die Auswahl ist groß. „Die kleinsten Glocken haben einen Durchmesser von vier Zentimetern.“ Zwei- bis dreimal pro Woche gießt Olivier Glocken aller Art. Im Jahr, so schätzt er, sind es zwischen 4000 und 5000 Stück. Deren Preis hänge vom Gewicht ab. „Eine 100 Kilogramm schwere Glocke kostet rund 6000 Euro“, verrät Olivier.
Die größten Glocken seien bis zu 120 Kilogramm schwer. „Dabei handelt es sich vor allem um Kapellenglocken.“ Insgesamt sind laut Olivier fünf bis sechs Arbeitsschritte nötig, bis eine ästhetisch schöne Glocke mit gutem Klang entsteht. Dazu zählt das Schleifen der Glocken in einer so genannten Scheuertrommel. „Das ist eine Mischtrommel mit Keramiksteinen, die die Glocken glatt schleifen.“
Seit dem Guss sind rund 15 Minuten verstrichen. Olivier lädt die abgekühlten Eisenkästen auf einen Rollwagen, schiebt ihn zu einem Eisenrohr und schlägt die Formen darauf aus. Mit dem Quarzsand fallen sogleich zwei kleine Glocken auf den Boden. Eine von ihnen hat ein Loch. „Das passiert öfter. Bei 40 bis 50 Kleinstglocken rechnet man mit zehn Prozent Fehlgüssen.“
Doch der Waidringer muss bei seiner Arbeit nicht nur mit beschädigten Glocken rechnen. „Es kann passieren, auch wenn nur selten, dass man Zinkfieber bekommt.“ Zinkfieber, früher auch Gieß- oder Schmelzfieber, heute Metalldampffieber, wird durch Einatmen von Verbrennungsgasen während des Schmelzens vorwiegend messinghaltiger (Kupfer und Zink) Materialien verursacht. „Man bekommt hohes Fieber. Dann muss man einen Liter Milch trinken, dann geht es wieder.“ Sagt’s und macht sich wieder an die Arbeit in seiner Werkstatt, jener Welt, die für den Handwerker alles bedeutet.