Magie des Kinos im Dienst der Propaganda
Lone Scherfig erzählt in „Ihre beste Stunde“, wie die Filmindustrie in Zeiten des Krieges die Gefühle der Bevölkerung zu lenken versucht.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Anfang Juni 1940 kapitulierte die belgische Armee vor der deutschen Wehrmacht, aber was sollte mit den 340.000 britischen Soldaten in Dünkirchen geschehen, denen der Fluchtweg über das Meer verwehrt war? In einer patriotischen Massenbewegung steuerten Fischer und Yachtbesitzer ihre Boote über den Ärmelkanal, um die tapferen Helden zu retten. In dieser Armada taten sich besonders die Zwillingsschwestern Rose und Lily Starling hervor, die ihrem Vater das Boot klauten und im Kampf gegen Hitler ihr Leben riskierten.
Diese Geschichte liest der Drehbuchautor Tom Buckley (Sam Claflin) im fetttriefenden Zeitungspapier, aus dem er seine Fritten klaubt. Das könnte genau eine jener Geschichten sein, die das Informationsministerium nach dem Desaster von Dünkirchen von Filmproduktionen verlangt, um die Ereignisse neu zu deuten und die Moral der ohnehin unter den deutschen Bombenangriffen leidenden Bevölkerung zu heben.
Die Geschichte dieser selbstlosen Fischermädchen hat Catrin Cole (Gemma Arterton) in gutem Glauben aus vagen Angaben montiert, denn Rose und Lily konnten wegen eines Motorschadens britisches Hoheitsgebiet nie verlassen. Das Beweisfoto zeigt nur jene Soldaten, die ihre Euphorie nach der Rettung in der Umarmung hübscher Frauen feiern wollten. Egal, es geht um Propaganda.
Catrin soll in das Drehbuchteam aus Buckley und Raymond Parfitt (Paul Ritter) „die weibliche Perspektive“ einbringen, damit ist „der Schmalz“ gemeint, für den es nur die Hälfte jenes Gehalts gibt, für das die männlichen Kollegen arbeiten. Die Verhältnisse verbessern sich, als der Kriegsminister (Jeremy Irons) dem Film seine besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Filmkunst soll künftig nicht nur das britische, überwiegend weibliche Publikum rühren, sie soll auch die US-Amerikaner überzeugen, an der Seite der Alliierten in den Krieg zu ziehen. Für diese propagandistische Filmschlacht müssen allerdings die als Protagonistinnen vorgesehenen Zwillinge aus der zweiten Reihe den neu erfundenen Helden zuarbeiten. Ein englischer Soldat und ein amerikanisches Fliegerass lenken nun das Rettungsboot, zwischen Schlachtfeld und rettender Küste soll aber noch Platz für ein herzzerreißendes Melodram sein.
Seit ihrer kommerziell erfolgreichen Dogma-Komödie „Italienisch für Anfänger“ (2000) dreht die dänische Regisseurin Lone Scherfig überwiegend in britischen Studios – zuletzt 2014 „The Riot Club“. In ihrem Film „Ihre beste Stunde“ zelebriert sie die Magie des Kinos und demonstriert, wie sie zustande kommt. In den ergreifendsten Momenten scheut sich Scherfig nicht, an die großen Gefühle des Films „Casablanca“ zu erinnern, der 1942 die Einstellung des US-Publikums zum Zweiten Weltkrieg verändert hat. Noch 1940 musste Charlie Chaplin die Uraufführung seines „Großen Diktators“ in New York organisieren, weil in Kalifornien mit Nazi-freundlichen Demonstrationen zu rechnen war. In Scherfigs Film-im-Film triumphiert Catrin über den Männerbetrieb Kino, indem sie eine realistische Perspektive durchsetzen kann. „Ihre beste Stunde“ hatte ein Budget von 10 Millionen Dollar. Das ist gerade einmal die Hälfte des Regiehonorars von Christopher Nolan, dessen Kriegsfilm „Dunkirk“ Ende Juli in den Kinos startet.