TT-Interview

Klaus Kastberger: „Mauscheleien gibt es keine“

Der Germanist und Leiter des Grazer Literaturhauses Klaus Kastberger ist seit 2015 Mitglied der Bachmann-Preis-Jury.
© ORF

Vor der 41. Auflage des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ortet Juror Klaus Kastberger Verbesserungspotenzial. Die TT hat mit ihm über den Wunsch nach mehr Mut, aufgeplusterte Texte und die Hoffnung auf mehr Interaktion gesprochen.

Im Vorjahr haben sie den israelischen Autor Tomer Gardi mit seinem Text „Broken German“ zum Bachmann-Wettbewerb eingeladen. Nach dessen Vortrag folgte eine einigermaßen ratlose Jury-Debatte über den Umgang mit Texten von Nichtmuttersprachlern. Ihre Mit-Jurorin Hildegard Keller sprach von einer „Tellermine auf dem sicheren Gelände der Literatur“. Haben Sie mit dieser Reaktion gerechnet?

Klaus Kastberger: Ich war von der Diskussion sehr erstaunt. Der Text wurde schnell auf ein Nebengleis gestellt und die Frage diskutiert, ob man so was überhaupt nominieren darf. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich wählte den Text aus, weil er hochinteressant und gut ist und keinesfalls in der Absicht, gewissermaßen einen terroristischen Anschlag auf die brave Jury zu verüben. Ich mag es, wenn hart diskutiert wird, aber absichtsvoll gesetzte Provokationen braucht es dafür nicht.

Sondern?

Kastberger: Der Wettbewerb lebt fraglos vom Händchen der Juroren. Ich bin kein Experte für die vergangenen vier Jahrzehnte Bachmann-Preis, aber ich glaube, die Jahre waren die besten, in denen unterschiedliche ästhetische Ansätze in Klagenfurt aufeinandertrafen. Die Jury ist ja ein recht heterogener Haufen – und die Lebendigkeit des Wettbewerbs und der Debatten über die einzelnen Texte lebt davon, dass unterschiedliche Kriterien und Sichtweisen diskutiert werden.

Der langjährige Jury-Vorsitzende Burkhard Spinnen wünschte dem Wettbewerb im Vorjahr Mut zu mehr riskanten Texten. Sie haben sich diesem Wunsch in einem Artikel für Die Zeit angeschlossen – und forderten, durchaus augenzwinkernd, „mehr heißen Scheiß“.

Kastberger: Mut lässt sich blöderweise nur schwer definieren. Heuer bekam ich zahlreiche Einreichungen, die sich selbst als besonders mutige Texte angepriesen haben. Man empfindet sich halt schnell als mutig. Leichter lässt sich sagen, wie die Texte nicht sein sollen: Texte, die den Eindruck erwecken, sie hätten sich für Klagenfurt ihr Feiertagsgewand angezogen, die aufgeplustert, überladen und ultragelehrig daherkommen. Allerdings hofft man insgeheim, dass es auch solche Texte in den Wettbewerb schaffen, weil sich daran – das mag jetzt etwas hoch gegriffen klingen – literarische Geschmacksbildung exemplifizieren lässt. Wobei das ein Aspekt ist, wo ich Verbesserungspotenzial sehe.

Inwiefern?

Kastberger: Die Aufgabe der Jury ist es nicht, einfach zu sagen, was ihr gefällt oder eben nicht gefällt, sondern sie soll den Prozess der Urteilsfindung veranschaulichen. Der Wettbewerb ist eine Chance, ernsthaft über Literatur zu reden. Und das nicht in Form mehr oder weniger überzeugender Monologe, sondern durch die Interaktion mit den anderen Juroren. Eine Aufgabe wäre es, seinen Standpunkt so präzise zu verbalisieren, dass die Mitjuroren das Argument nicht einfach ignorieren können. Dieser Idealfall setzt allerdings ein Maß an Konzentration voraus, das sich kaum über drei Tage aufrechterhalten lässt.

Sie haben heuer die Autorinnen Verena Dürr und Barbi Markovi´c zum Wettbewerb eingeladen. Welche Kriterien waren für die Auswahl maßgeblich.

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Kastberger: Natürlich wählt man Texte, von denen man hofft, dass sie sich gut schlagen – und für Preise in Frage kommen. Aber man hat auch immer die Hoffnung, dass sie Anlass zu interessanten, gern auch kontroversen Diskussionen bieten. Es wäre naiv den Umstand, dass der Wettbewerb auch ein Medien-Ereignis ist, zu ignorieren. Vieles wirkt im Fernsehen anders als im Studio. Deshalb geht auch die Wahrnehmung des Wettbewerbs auseinander: Die, die ihn im Fernsehen verfolgen, kommen zu anderen Schlüssen als die, die vor Ort sind.

Ganz ehrlich: Gibt es vor der Entscheidung Absprachen zwischen einzelnen Juroren?

Kastberger: Ich habe bislang weder Mauscheleien noch Taktieren erlebt. Bis auf die Erstellung der so genannten Shortlist am Sonntagvormittag werden alle Entscheidungen öffentlich getroffen. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, ob man direkt nach den Lesungen ein Zwischenvoting einfügt, denn mitunter gibt es überraschende Entscheidungen: Ein allseits wohlwollend besprochener Text kommt nicht auf die Shortlist, einer, der schärfer kritisiert wurde, schon. Hier kann der Eindruck entstehen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

Eine Reform des Wettbewerbs ist immer wieder Thema: Was halten Sie vom Vorschlag, dass nicht mehr die Juroren die Teilnehmer auswählen, sondern eine Vorjury?

Kastberger: Diese Idee klingt nur im ersten Moment schlüssig. Ich bin davon überzeugt, dass der Reiz des Wettlesens auch darin besteht, dass Juroren sich für ihre Kandidaten einsetzten. Erst durch diese emotionale Bindung wird es spannend.

Das Gespräch führte Joachim Leitner

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