Flüchtlinge

Österreich droht mit dichtem Brenner, Tirols Polizeichef irritiert

Der Grenzübergang am Brenner.
© TT/Julia Hammerle

Wahlkampfgetöse oder tatsächliche Notwendigkeit? Verteidigungsminister Doskozil (SPÖ), ÖVP-Chef Kurz und Tirols LH Platter sind trotz scharfen Protests aus Italien auf „zeitnahe“ Grenzkontrollen am Brenner eingestellt. Laut dem Tiroler Polizeichef Tomac ist dies angesichts der unauffälligen Lage „in keiner Weise nachvollziehbar“.

Innsbruck, Rom – Die österreichische Politik verstärkt wieder die Drohungen bezüglich einer Schließung der Brenner-Grenze. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) kündigte an, 750 Soldaten in Bereitschaft zu versetzen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wiederum stellte in Richtung EU klar, dass man im Bedarfsfall den Brenner „schützen“ werde.

Die Situation in Italien hat sich zuletzt zugespitzt. In diesem Jahr sind bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa geflohen. 85 Prozent davon wurden in Italien aufgenommen. Zuletzt war der Zustrom sogar noch gestiegen, weshalb Italien auf Hilfe durch die EU drängt.

Doskozil erwartet Kontrollbeginn „sehr zeitnah“

Aus Österreich kommen derzeit aber gegenteilige Signale. Doskozil hat neben den 860 Soldaten, die in anderen Bundesländern im Assistenzeinsatz sind, nun auch für Tirols Grenzen 750 Personen auf die Beine gestellt. Sie könnten innerhalb von 72 Stunden ihren Dienst aufnehmen. Den Beginn von Kontrollen erwartet er „sehr zeitnah“. Die Bevölkerung wolle, dass man entsprechende Maßnahmen ergreife, argumentierte der Verteidigungsminister.

Nicht minder scharf äußerte sich Außenminister Kurz, der meinte, es sei ehrlich, jetzt Italien und der EU ganz klar zu sagen: „Wir bereiten uns vor und wir werden unsere Brenner-Grenze schützen, wenn es notwendig ist.“ Daher befürwortet er auch die Vorbereitung zu Grenz-Kontrollen. Notwendig sei aber vor allem eine Schließung der Mittelmeer-Route.

Bei seinem Tirol-Besuch am Dienstag betonte Kurz, dass die Vorbereitungen nicht auf den Wahlkampf zurückzuführen seien. „Ich halte es für höchst verantwortungsvoll, wenn man sich vorbereitet“, meinte der ÖVP-Chef. Die Entscheidung, was es für die Kontrollen braucht, obliege allein dem Verteidigungs- und dem Innenminister meinte Kurz.

Wenn der Ansturm wieder zunehme, sei es aber wichtig darauf vorbereitet zu sein, sagte der Außenminister. Denn das Problem bei der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 sei vor allem das der Überforderung gewesen. Der Druck in Italien sei bereits groß und die Masse der Menschen, die derzeit über das Mittelmeer nach Italien kommen, würde sicher nicht dort bleiben.

Platter: „Eindeutige Signale“ nötig

Obwohl der Brenner sowohl historisch als auch wirtschaftlich als heikle Grenze gilt, steht auch Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hinter den Plänen der zuständigen Ministerien. Es benötige „eindeutige Signale in Richtung Italien und der Flüchtlinge, dass es am Brenner kein Durchkommen gibt“, so Tirols Landeschef: „Wenn es die Lage erfordert, lege ich Wert darauf, dass nicht Rücksicht auf die Bestimmungen der Europäischen Union genommen wird, sondern im Eigeninteresse des Landes Tirol kein Durchkommen für illegale Migranten am Brenner besteht“.

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Ginge es nach FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, sollte man ohnehin nicht weiter zuwarten sondern sofort mit den Kontrollen beginnen. Abgelehnt werden diese vorerst nur von den Grünen.

Tomac: „Derzeit keine Auffälligkeiten“

Für den Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac sind Grenzkontrollen am Brenner derzeit „kein Thema“. Die Vorbereitungen des Verteidigungsministeriums seien „aufgrund der Entwicklung auf der Brennerroute in keiner Weise nachvollziehbar“, sagte Tomac. Selbstverständlich sei es aber „Angelegenheit des Bundesheers auch allfällige Vorlaufzeiten“ zu berücksichtigen.

Derzeit sei für die Schengen gemäßen Hinterlandkontrollen eine Gruppe von rund hundert Mann im Einsatz. Die Aufgriffszahlen würden sich dabei im langfristigen Trend bewegen, also zwischen 15 bis 25 illegale Migranten pro Tag. Am Wochenende würden bis zu 40 registriert. „Derzeit gibt es auf der Brennerroute keine Auffälligkeiten“, betonte Tomac. Beispielsweise seien in der Kalenderwoche 25 im vergangenen Jahr 168 Aufgriffe verzeichnet worden, heuer waren es in derselben Woche 86.

Freilich sei die gestiegene Zahl der Anlandungen in Italien ein Alarmsignal. Es gebe zur Zeit aber keine Informationen von den italienischen Verbindungsbeamten, dass sich eine große Zahl von Menschen vom süditalienischen in den norditalienischen Raum bewege, so der Landespolizeidirektor.

Italien fordert EU-Verfahren gegen Österreich

In Rom reagiert man auf die österreichischen Ankündigungen eher verschnupft. Die regierende Demokratische Partei rief nach einem EU-Verfahren gegen Österreich, und das italienische Außenministerium hat den österreichischen Botschafter in Rom, René Pollitzer, zu einem Gespräch gebeten. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher sieht die Drohung mit Grenzkontrollen dem Wahlkampf-Klima in Österreich geschuldet.

Der italienische Innenminister Marco Minniti kritisiert, dass die Initiative „ungerechtfertigt und präzedenzlos“ sei. Sie werde unvermeidbare negative Auswirkungen bei der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zwischen zwei befreundeten Ländern haben, für die grenzüberschreitende Kooperation besonders wichtig sei. Am Brenner gebe es keinerlei Notstand, betonte der Innenminister. Die Zusammenarbeit zwischen der italienischen und der österreichischen Polizei funktioniere bestens, so Minniti.

Kritik kommt auch von Italiens Außenminister Angelino Alfano. Österreich verhalte sich wie schon im Vorjahr. „Damals war von einer Brennermauer die Rede. Danach haben wir festgestellt, dass kein einziger Migrant die Brennergrenze überschritten hat. Österreichs Verhalten ist ungerechtfertigt“, sagte Alfano.

Am Donnerstag findet in Rom ein Gipfeltreffen zu Migrationsthemen statt, an dem sich mehrere von der Flüchtlingsproblematik betroffene Länder beteiligen. Österreich ist durch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) vertreten. (TT.com, APA)

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