Kern nennt sieben Punkte für Neuordnung der Europäischen Union

Wien (APA) - Bundeskanzler Christian Kern hat am Montagabend in Wien sieben Punkte formuliert, die aus seiner Sicht für die Neuordnung Europ...

Wien (APA) - Bundeskanzler Christian Kern hat am Montagabend in Wien sieben Punkte formuliert, die aus seiner Sicht für die Neuordnung Europas nötig sind. Im Beisein seines Vorgängers als Regierungs- und SPÖ-Chef Franz Vranitzky stellte er vor allem wirtschaftspolitische Forderungen auf, mahnte aber auch Treue zu europäischen Werten und Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten ein.

Laut Kern muss die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet werden. Vor allem die Steuerpolitik unter den EU-Staaten müsse dazu besser koordiniert werden. Die Überwachung der nationalen Budgets im Rahmen des Euro-Stabilitätspaktes sei „viel zu wenig“. Wenn es bei Schulden oder dem Defizit Verstöße gebe, seien Sanktionen vorgesehen. Steige die Arbeitslosigkeit massiv oder gerieten Sozialsysteme ins Wanken, habe dies keine Konsequenzen, beklagte Kern.

Neben einer besseren Reform der Entscheidungsprozesse in der EU bei der großen Erweiterung 2004 ist aus der Sicht des Kanzlers der zweite „Baufehler“ der Union, dass keine Mindeststeuersätze akkordiert wurden. Kern will daher auch für Steuergerechtigkeit und gegen Steueroasen sowie Sonderbegünstigungen für Großkonzerne kämpfen. Er warnte im Kuppelsaal der TU Wien vor einer „Steuerspirale nach unten“.

Auch Lohn- und Sozialdumping müssen laut Kern bekämpft werden. Er forderte diesbezüglich eine Änderung der EU-Entsende-Richtlinie zur grenzüberschreitenden Tätigkeit von Firmen und ihren Arbeitnehmern, welche derzeit neu verhandelt wird.

Ein ähnliches Wohlstandsniveau in den EU-Staaten gehört nach den Vorstellungen des Kanzlers gefördert - etwa durch Zukunftsinvestitionen. Solche Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur müssten aus den Euro-Stabilitätskriterien herausgenommen werden, forderte er. Vranitzky pflichtete Kern bei und kritisierte mit Blick auf den deutschen Finanzminister eine „Schäuble-Politik“: „Wenn diese Investitionen nicht getätigt werden, dann ist das gleichbedeutend mit einem Time-Out in der fortschrittlichen Entwicklung unserer Industrie und unserer Gesellschaft“, mahnte er.

Für Kern ist es auch nötig, auf eine faire Handelspolitik zu pochen. Bei diesem Punkt forderte er, bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen Handelsvereinbarungen vom Investorenschutz zu trenne. Sonderklagsrechte für Investoren vor eigenen Gerichte, erteilte Kern eine Absage.

Die europäische Wertegemeinschaft müsse verteidigt, werden forderte Kern weiters. „Liberalität und Demokratie“ seien untrennbar miteinander verbunden; es gebe keine „illiberale Demokratie“. Damit stellte sich Kern klar gegen EU-Kollegen wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der die liberale Demokratie als am Ende betrachtet.

Auch Kerns siebenter und letzter Punkt beinhaltet Kritik an Orban und Regierungschefs andere EU-Staaten des früheren Ostblocks: Bei der Migration müssten die Lasten geteilt werden. Die EU-Kommission hat Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien eingeleitet, weil sie trotz eines EU-Mehrheitsbeschlusses nicht bereit sind, Griechenland und Italien Flüchtlinge abzunehmen.

Wenn plötzlich ein Mitgliedstaat nicht mehr wisse, „wie man europäische Solidarität buchstabiert (...) dann muss das Konsequenzen haben“, verlangte Kern mit Blick auf eine Verletzung demokratiepolitischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien, eine faire Umverteilung von Flüchtlingen aber auch die Änderung der Entsende-Richtlinie in Sachen Sozialdumping, die Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei blockieren.

Vranitzky konstatierte „bedauerlicherweise“ eine „mangelnden Solidarität“ insbesondere seitens später beigetretener EU-Mitglieder, wo wir uns alle bemüht haben (...) ihnen diese grandiosen Möglichkeiten“ zu eröffnen. Nun „müssen wir erleben, dass eigentlich in einigermaßen primitiver Art und Weise die Solidarität verwehrt wird“. Wenn es nicht gelinge, Solidarität herzustellen, bestehe die Gefahr, dass andere EU-Mitglieder am Beispiel dieser „Visegrad-Burschen“, ihr solidarisches Verhalten überdächten. Neben der sozialen Balance ist die Solidaritäts-Frage für den Altkanzler DIE „Kampfzone“ in der künftigen Europapolitik: Wenn diese Fragen nicht gelöst würden, „dann haben die Trumps und Putins Recht, dass diese EU nix wert ist“.