Al-Jazeera - Vom unabhängigen Medium zum Machtinstrument

Wien (APA) - Al-Jazeera hat sich in seinen Anfängen noch um eine kritische und ausgewogene Berichterstattung bemüht. Dann sei der katarische...

Wien (APA) - Al-Jazeera hat sich in seinen Anfängen noch um eine kritische und ausgewogene Berichterstattung bemüht. Dann sei der katarische Nachrichtensender jedoch immer mehr von der Regierung Katars zu Propagandazwecken verwendet worden, so die Einschätzung einer Nahostexpertin. Saudi-Arabien und seine Verbündete fordern nun die Schließung des Senders.

Al-Jazeera, der 1996 den Sendebetrieb aufgenommen hat, beschränkte sich im Gegensatz zu anderen damaligen regionalen Fernsehsendern nicht darauf, die Königshäuser der arabischen Welt zu preisen, sondern berichtete dezidiert unabhängig. Das erklärte die Nahost-Expertin Karin Kneissl im Interview mit der APA. Die kritischen Berichte seien für die herrschenden Familien ärgerlich gewesen.

Für Katar ist der Sender ein wichtiges Machtinstrument, die arabische Version von Al-Jazeera wird täglich von ca. 40 bis 50 Millionen Menschen gesehen. Doch Al-Jazeera wurde nach und nach vorgeworfen, die unabhängige, ausgewogene und kritische Berichterstattung zu vernachlässigen. Bereits im Irak-Krieg 2003 häuften sich die Vorwürfe sowohl von irakischer als auch von US-amerikanischer Seite, der Sender berichte tendenziös. Ähnliche Vorwürfe wurden im Afghanistan-Konflikt laut.

Spätestens während des Arabischen Frühlings habe der Sender die Grenze von Berichterstattung zum Aktivismus überschritten, so Kneissl, denn er habe die Revolutionären klar unterstützt. Durch den von Al-Jazeera mitinszenierten Auftritt des umstrittenen Predigers Yussuf al-Qaradawi auf dem Tahir-Platz in Kairo im Februar 2011 wurde die bis dahin säkulare Revolution religiös aufgeladen. Al-Qardawi, der in der Vergangenheit mehrmals wegen seiner antisemitischen Aussagen (u.a. „Hitler war eine göttliche Strafe gegen die Juden, die somit wieder auf ihren Platz verwiesen wurden“ gesendet auf Al-Jazeera am 30. Jänner 2009, Anm.) kritisiert wurde, hat seit 1996 auf Al-Jazeera die Sendung „Die Scharia und das Leben“.

Dieser religiöse Aspekt, der der Revolution hinzugefügt wurde, verhalf der von Katar unterstützten Muslimbruderschaft in Ägypten zur Macht. Da die paramilitärische Hamas ein Ableger der Muslimbruderschaft ist, wird Al-Jazeera zudem vorgeworfen, terroristische Organisationen zu unterstützen.

Die katarische Herrscherfamilie hat sich bereits seit 2004 immer mehr in die Berichterstattung eingeschaltet, sodass sich Al-Jazeera von einem unabhängigen Sender zu einem Propagandainstrument der katarischen Führung gewandelt hat. Aus diesem Grund verließ auch der ehemalige Deutschland-Korrespondent und Leiter des Berliner Büros von Al-Jazeera, Aktham Suliman, den Sender im Jahr 2012. Im Dezember desselben Jahres beschrieb er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den stetig steigenden politischen Einfluss der Führung Katars auf den Sender.

Dass Ägypten und die Staaten des Golfkooperationsrates (Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jemen und Bahrain, abgekürzt GCC, Anm.) nun die Abschaltung von Al-Jazeera fordern geht laut Kneissl offenbar auf den Thronfolger und Kronprinzen von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman, zurück. Dieser hat Ende Juni seinen Vorgänger Mohammed ibn Naif ersetzt. Der neue Thronfolger wird als impulsive Persönlichkeit beschrieben: Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ nannte ihn bereits 2015 „korrupt, machtgierig und arrogant“ und berichtete, dass in den politischen oder diplomatischen Kreisen des Landes niemand irgendetwas Positives über ihn zu sagen wisse.

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