Bachmann-Preis 2 - Möchtegern-Apokalypse und Identitäts-Auflösung

Klagenfurt/Wien (APA) - John Wray geht als erster Favorit aus dem ersten Lesetag des Wettlesens um den Bachmann-Preis in Klagenfurt hervor. ...

Klagenfurt/Wien (APA) - John Wray geht als erster Favorit aus dem ersten Lesetag des Wettlesens um den Bachmann-Preis in Klagenfurt hervor. Dem ansonsten auf Englisch schreibenden Austro-Amerikaner könnte lediglich zum Verhängnis werden, von der Jury als zu virtuos befunden zu werden. Aber auch die Österreicherin Karin Peschka, die die undankbare Startnummer eins gezogen hatte, kann sich noch Chancen ausrechnen.

Mit der Münchner Autorin und Filmerin Noemi Schneider (Jahrgang 1982), die Anfang des Jahres ihren Generationenroman „Das wissen wir schon“ bei Hanser vorgelegt hatte, wurde heute, Donnerstag, die erste Nachmittags-Session der 41. Tage der deutschsprachigen Literatur im ORF-Theater Klagenfurt eröffnet. „Fifty Shades of Gray“ heißt ihr Text, der sich in Abschnitten von „Cool Gray One“ bis „Cool Gray Forty Nine“ um eine „Baronesse“ genannte Psychiaterin und Internats-Absolventin und ihre mitreisende Freundin dreht. Ob es sich um eine banale Urlaubsreise oder eine Flucht vor dem sich durch einen immer finster werdenden Nebel anbahnenden Weltuntergang handle, darüber herrschte in der Jury Uneinigkeit.

Der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels, der Schneider eingeladen hatte, lobte den Text als „Umkehrung des Flüchtlingsstroms“ und sah in ihm „die zweite apokalyptische Geschichte von heute“: „Es ist der lustigste Weltuntergang, den man sich denken kann.“ Klaus Kastberger fand Winkels Interpretation deutlich interessanter als den Text selbst: Dieser sei „zu gezuckert“, „die biedermeierlichste Weltuntergangsgeschichte, die ich jemals gehört habe, ein Setzkästchen der Apokalypse“. „Eine Möchtegern-Apokalypse“, lautete Hildegard Kellers Urteil: „Die Dramatik des angeblichen Countdowns wird überhaupt nicht nachvollziehbar.“ - Der Text sei „interessant gemacht, aber dem Thema der sogenannten Flüchtlingskrise unangemessen“, meinte Michael Wiederstein, während Meike Feßmann „reißerische und bisschen banale Effekte“ ausmachte und Stefan Gmünder den Text „zu durchschaubar, zu plakativ“ fand. Sandra Kegel ortete eine „interessante Schizophrenie der Sprache“: „Ich finde das eigentlich sehr gelungen.“

Daniel Goetsch, 1968 in Zürich geboren und heute in Berlin lebend, nahm bereits im Jahr 2000 am Wettlesen um den Bachmann-Preis teil. Heute las er unter dem Titel „Der Name“ einen Romanauszug. Ausgehend von einem Inselspaziergang erinnert sich ein heute fast 80-Jähriger an das Jahr 1946, an eine Liebschaft mit einer 19-Jährigen, der Tochter eines Deutschen, den der damalige US-Besatzungsoffizier im Zuge der Entnazifizierungen zu verhören hatte und ihn schließlich zum Beauftragten für Presse und Rundfunk in der Besatzungs-Administration machte.

Hubert Winkels sah „eine Identitäts-Auflösungs-Geschichte“, die jedoch „zusammencollagiert zu sein scheint“ aus verschiedenen Elementen des Romans. Auch Stefan Gmünder und Klaus Kastberger, der „von der Stilistik wenig auszusetzen“ hatte, fand den Romanauszug unglücklich gewählt: „Der Text braut epische Breite“, so Kastberger. „Viel zu konventionell erzählt“, befand Sandra Kegel, „viele stilistische Mängel“ sah Meike Feßmann. Einzig in Michael Wiederstein und Einladerin Hildegard Keller fand der Text Anhänger.

Am morgigen zweiten Wettbewerbs-Tag treten Ferdinand Schmalz, Barbi Markovic, Verena Dürr, Jackie Thomae und Jörg-Uwe Albig in Klagenfurt an.

(S E R V I C E - http://bachmannpreis.orf.at/)

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