Das harte Schicksal des „schwachen Geschlechts“ - Frauen in Nordkenia
Nairobi/Wien (APA) - Ein junges Mädchen trägt ihre offenbar kleine Baby-Schwester im Tragetuch. Doch warum ist das Kleinkind nicht bei der s...
Nairobi/Wien (APA) - Ein junges Mädchen trägt ihre offenbar kleine Baby-Schwester im Tragetuch. Doch warum ist das Kleinkind nicht bei der stillenden Mutter? Ist es.
Ab einem Alter von zwölf Jahren werden die Mädchen in den Nomadenvölkern Nordkenias verheiratet. Bis dahin haben sie zumeist bereits ein hartes Schicksal, die Mehrheit von ihnen ist beschnitten, einige sterben an Infektionen, die mit der Genitalverstümmelung einhergehen. In die Schule zu gehen ist ein Privileg. Von klein auf helfen sie in den streng patriarchalen Stämmen ihren Müttern bei der täglichen Arbeit und die jüngeren Geschwister zu versorgen. Zu sagen haben die Frauen im öffentlichen Raum wenig, lediglich in Erziehungsfragen und in Fragen des Haushalts haben sie mitzureden oder werden teilweise im Ältestenrat angehört. Die Männer mit ihren aus Tüchern gewickelten Turbanen und Stöcken als Machtzeichen, die sich auf ihren Lebensstil als Viehhirten beziehen, geben den Ton an. Frauen sind im öffentlichen Raum separiert und kaum repräsentiert.
Die „Hausarbeit“ sieht in dem von der Dürre gekennzeichnetem Norden Kenias ebenfalls gänzlich anders als in den Städten aus. Stunden- oder tagelange Fußmärsche sind zurückzulegen, um Wasser zu holen - vorausgesetzt es ist verfügbar. Auch das Holz in den Steinwüsten für ihre Hütten zu sammeln, ist harte Arbeit. Ebenso lange Fußmärsche müssen sie auf sich nehmen, um ihre oftmals unterernährten Kinder in einem Kleinkind-Zentrum wiegen und messen zu lassen und dadurch die überlebenswichtige Zusatznahrung für ihren Nachwuchs zu erhalten. Wenn das Nomadendorf weiterzieht, sind die Frauen dafür verantwortlich, die Zelte aus Holz, Stoffen und Seilen zu bauen. Und wenn einmal eine Hilfslieferung das Dorf erreicht, liegt es an ihnen, sich gemeinsam mit Hunderten anderen Frauen stundenlang in der prallen Sonne anzustellen, um ihre Familie mit dem Lebensnotwendigsten ernähren zu können.
„Die Frauen versorgen mit den Nahrungsmitteln ihre Familie, für sie selbst bleibt dabei kaum noch etwas übrig“, erzählt die Krankenschwester Stephania Boku in North Horr in der nordkenianischen Region Marsabit. „Viele leiden unter Anämie, die Mütter verlieren ihre Muttermilch, weil sie selbst zu unterernährt sind.“ Etwa 50 Mütter betreut sie täglich in der Baby-Station in North Horr. Viele Kinder sind vom Nahrungsmangel geschwächt, haben Anämie, zu wenig Kleidung und bekommen Husten vom Wind, schildert Boku. Einige Kinder seien bereits verstorben. Von der Regierung erhielten sie zu wenig Unterstützung, lediglich das Personal, drei Krankenschwestern und ein Klinikangestellter, und die Medikamente würden finanziert.
Die einjährige Arbe ist mit 6,9 Kilo und einer Größe von 71 Zentimetern stark untergewichtig. Sie erhält eine überlebenswichtige Zusatznahrung von 500 Kalorien am Tag, um nicht nachhaltige Entwicklungsschäden davonzutragen. Die Mütter geben diese Nährstoffe aber auch oft an die älteren Kinder, alle haben Hunger und weinen, die Schwächsten können dadurch kaum an Gewicht zulegen.
Chiri Dido ist 21 Jahre alt, ist seit neun Jahren verheiratet und hat vier Kinder. Ein Frauenleben wie es in der nordkenianischen Region Marsabit üblich ist. Ihr Mann, ein Hirte, hat fast alle seine Tiere aufgrund der Dürre verloren. Mit den wenigen Verbleibenden zieht der Nomade auf der Suche nach Wasserstellen umher. In dieser Zeit liegt es an Dido allein, die Familie am Leben zu erhalten. Einmal pro Woche geht sie rund eine Stunde zu Fuß durch die staubige Wüstenhitze, um ihre Familie mit Nahrungshilfe aus dem NGO-Zentrum zu versorgen. „Die Situation hat sich verschlechtert. Wir haben alle an Gewicht verloren, wir sind von Hilfe abhängig.“ Morgens trinken sie Tee, am Abend essen sie Maisbrei. „Es ist hart, manchmal gehen wir hungrig schlafen.“
Für ihre Kinder wünscht sich Dido, dass diese in die Schule gehen und einmal Arbeit finden und ein besseres Leben haben. Sie selbst war nie in der Schule. Geld für die Schulgebühren der Kinder hat sie keines, nur das Vieh, mit dem ihr Mann umherzieht, kann Einkommen abwerfen. Didos Eltern leben noch mit ihr im Dorf Durte. Wenn diese älter werden, wird Dido auch sie versorgen müssen.
„Das Hauptproblem ist die Wasserversorgung“, ergänzt Arbe Matula. „Die Wasserstellen sind vertrocknet. Jedes Jahr wird es ernster, so etwas haben wir noch nie erlebt. Zwei Menschen sind in dem Gebiet bereits gestorben. Einer war erst 30 Jahre alt.“
Da die Männer des Dorfes bis auf die ältesten auf der Suche nach Wasser und Weideland weit entfernt sind, „ist unsere Sicherheit von Gott abhängig“, sagt die Christin. Im Dorf gebe es aber eine starke Gemeinschaft aus Christen, Muslimen und den Anhängern der traditionellen afrikanischen Kirche.
Vom Klimawandel hat die 28-jährige Mutter von zwei Kindern noch nie etwas gehört. „Nur Gott weiß, ob der Regen zurück kommt.“ Zur Schule ist sie ebenfalls nie gegangen, die Schulgebühren für ihre Kinder kann sie sich nicht leisten, eines ihrer Kinder kann aber dennoch zur Schule gehen.
Die Krankenschwester Boku hat es geschafft, sie konnte in eine Schwesternschule gehen, ihre Eltern zahlten die hohen Gebühren. Viele Familien könnten sich das aber nicht mehr leisten.
Die 14-jährige Atho möchte ebenfalls Ärztin werden, „in einer großen Stadt arbeiten und ihrer Familie helfen“, sagt sie in gebrochenem Englisch. „Wir sind Nomaden von sehr weit entfernt. Mit sechs Jahren habe ich mit der Schule begonnen, ich war mit meinen Freunden, nach einem Jahr habe ich mich wohlgefühlt. Meine Eltern wollen nicht, dass ich jetzt schon heirate.“ Atho hofft auf ein Stipendium für die Hochschule, wenn ihre Noten gut genug sind.
Gemeinsam mit knapp 500 weiteren Mädchen unter der Aufsicht von zwölf Lehrern geht Atho in die „Kalacha Nomadenmädchen-Grundschule“ für Sechs- bis 14-Jährige in der gleichnamigen Stadt. „Wir sind ein Rettungszentrum“, betont Schuldirektor Sora Duba im Gespräch mehrmals. Die Schule bietet den Mädchen wahrlich eine Möglichkeit, ihrem traditionellem Schicksal zu entkommen: der Heirat und Mutterschaft teilweise schon mit zwölf Jahren, der Beschneidung, Unterernährung oder häuslicher Gewalt. Manche Mädchen kommen von bis zu 500 Kilometer Entfernung. Der Großteil ihrer Eltern, etwa 70 bis 80 Prozent, sind Analphabeten. Besonders Englisch und die gängige Sprache Ostafrikas, Kiswahili, lernen die Mädchen, damit sie sich selbst „zum Ausdruck bringen können“. Aber auch Landwirtschaft in ihrer einfachsten Form wird unterrichtet, etwa wie man einen Baum pflanzt. Daneben können die Mädchen singen, tanzen und sogar Volleyball und Fußball spielen.
„Ich bin sehr stolz auf meine Mädchen“, strahlt Duba enthusiastisch vor einer Menge Pokalen, die „seine“ Mädchen in Schulwettbewerben gewonnen haben. „Wenn sie die gleichen Chancen erhalten (wie Buben, Anm.), dann sind die Mädchen sehr gut.“ In den meisten Volksschulen überwiegt die Anzahl an Buben, die Mädchen bleiben meist Analphabeten. 500 Kenianische Schilling (4,2 Euro) beträgt die Schulgebühr inklusive Internat für drei Monate, um damit das Schulessen zu finanzieren. Wenn Eltern diese nicht zahlen können, dürften die Mädchen aber dennoch bleiben. Die ausbleibenden Zahlungen werden laut Beobachtern den Eltern angeschrieben; aber das täglichen Essen für die Schülerinnen werde damit kaum finanzierbar, was in Folge in einzelnen Fälle letztlich doch dazu führe, dass einige der Schülerinnen die Schule verlassen müssen. Die Regierung stellt nach den Worten Dubas die Bücher und die Lehrergehälter bereit. Mehr als 200 Mädchen hätten wegen der aktuellen Dürre die Schule bereits verlassen.
Kilometerlange Wege müssen die Frauen in Dürrezeiten zurücklegen, um zu einer Wasserstelle zu kommen. Das schwächt die Frauen und raubt ihnen die Zeit und Kraft für die weiteren täglichen Arbeiten. In der Nähe der nordkenianischen Stadt Turbi haben Hilfsorganisationen einen unterirdischen Wasserspeicher errichtet, der 100.000 Liter fasst und 300 Haushalte für zwei Monate in Notzeiten versorgen kann. Der Tank wird entweder durch Regenwasser oder durch Wassertransporter gefüllt. „Umweltflüchtlinge“, nennen sich die Bewohner des nahen Dorfes Qatamur. Die Frauen haben sich selbst in einer „Frauengruppe“ organisiert, ein Netzwerk, das sie als sehr wichtig beschreiben, in dem sie sich gegenseitig unterstützen - besonders wenn die Männer mit dem verbleibenden Vieh umherziehen und nur die Frauen, Kinder und ältere und geschwächte Menschen im Dorf zurückbleiben. „Wir haben hier kein elektronisches Kommunikationsnetz, wir können nur zum nächsten Zentrum um Hilfe laufen“, erzählt Shanu Denge. Sie und ihre Frauengruppe singen und tanzen zum Ausdruck ihrer Wertschätzung um den Wasserspeicher.
In der nächstgelegenen Stadt Turbi gibt es einen Bohrbrunnen und ein Oberflächenwasserauffangbecken. Gemanagt wird die Aufbereitungsanlage von Amina Isako, die hinter sich mehrere Chiefs versammelt hat. Ihre Eltern haben ihr einst ihr Studium finanziert, nun kann sie der ganzen Stadt helfen. „Mädchen und Frauen müssen das Wasser nach Hause bringen. Jetzt, da das Wasser in Reichweite ist, können die Mädchen zur Schule gehen, bessere Leistung bringen und können dadurch auch einer frühen Heirat vorbeugen.“
In meterlangen Schlangen stellen sich Dutzende Frauen in farbenfrohen Tüchern bei den Wasserkiosken an, um die gelben 20-Liter-Wasserkanister um fünf Kenianische Schilling (0,04 Euro) füllen zu lassen. Täglich gehen sie bis zu sechs Kilometer, um das lebensspendende Nass zu holen. Isako ist glücklich, die Lebensqualität der Frauen damit wesentlich verbessern zu können. Und noch eine Botschaft flüstert sie der APA ins Ohr: „Was ein Mann tun kann, kann eine Frau noch besser.“
(Die im Text genannten Hilfsprojekte werden von Caritas Österreich unterstützt. Die Reise nach Kenia wurde teilweise von Sponsoren der Caritas finanziert. S E R V I C E: Onlinespende-Möglichkeiten der Caritas: https://www.caritas.at/raw/spenden-helfen/spenden/online-spenden/)
~ WEB http://www.caritas.at/ ~ APA034 2017-07-07/07:00