Experte: Österreichischer Vorsitz wird OSZE-Personalproblem lösen
Hamburg (APA) - Tiefe Gräben zwischen Ost und West und ein Führungsvakuum: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZ...
Hamburg (APA) - Tiefe Gräben zwischen Ost und West und ein Führungsvakuum: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) macht ausgerechnet unter österreichischem Vorsitz schwere Zeiten durch. Der deutsche OSZE-Experte Wolfgang Zellner hält nichts von Untergangsprognosen. Die OSZE funktioniere, und Wien werde das Personalproblem bis Jahresende lösen, sagt er im APA-Gespräch.
Seit vergangener Woche hat die in Wien ansässige Organisation keinen Generalsekretär mehr. Führungslos sind auch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), schon seit Monaten gibt es keine Medienbeauftragte und keine Minderheitenkommissarin mehr. „Mir ist in den letzten 20 Jahren keine Situation erinnerlich, wo alle vier Posten vakant waren“, sagt der Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung an der Universität Hamburg.
Handlungsunfähig sei die OSZE aber nicht. Nach einem Budgetbeschluss im Juni sei nämlich Geld da, und die Strukturen seien intakt. Die Aufgaben des Generalsekretärs werden derzeit von zwei Spitzendiplomaten interimistisch wahrgenommen, erläutert Zellner. Er rechnet damit, dass Österreich einen Konsens der 57 Staaten in der Personalfrage erzielen wird, ehe es den Staffelstab zum Jahreswechsel an den nächsten OSZE-Vorsitz Italien weitergibt. „Ich gehe davon aus, dass man das im zweiten Halbjahr löst.“
„Als Person weitgehend unumstritten“ ist nach Ansicht Zellners der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des OSZE-Generalsekretärs, der Schweizer Diplomat Thomas Greminger. Er hatte seine Feuertaufe während der Ukraine-Krise im Jahr 2014, als er während des Schweizer OSZE-Vorsitzes die wöchentlichen Sitzungen des Ständigen Rates der Organisation in Wien führte. „Da musste die Organisation enorm etwas leisten und aus dem Nichts eine Mission mit 1.000 Mitgliedern aufbauen. Von damals dürfte Greminger vielen noch in Erinnerung sein.“
„Die Sache, die es schwierig macht, ist, dass alle drei anderen Posten auch vakant sind und es eine Reihe von Junktims gibt“, erläutert Zellner. Während einige Staaten zuerst den Generalsekretär besetzen wollen, und später die drei anderen umstritteneren Jobs, pochen andere darauf, dass zuerst über die längste Vakanz (jene der Minderheitenbeauftragten) entschieden wird. Dann gebe es Staaten, die Verhandlungen im Paket wollten. Argumentiert werde - mitunter taktisch - mit der regionalen oder Geschlechterbalance. Einer jener Staaten, die es schwierig machen, sei Aserbaidschan, das wegen des Konflikts um Nagorny Karabach „generell unzufrieden mit der Situation“ sei. „Da wird alles instrumentalisiert“, sagt Zellner mit Blick unter anderem auf das OSZE-Budget, das schon im vergangenen Herbst hätten beschlossen werden sollen.
Dazu kommt, dass die OSZE-Institutionen auch inhaltlich nicht unumstritten sind. „Die ganzen autoritären Staaten in Osteuropa und Zentralasien haben natürlich grundsätzliche Vorbehalte gegen ODIHR und bei der Medienbeauftragten“, sagt Zellner. Bei der Minderheitenbeauftragten „sind die Interessenslagen schon wieder andere“. Zu dieser Institution habe Russland ein positives Verhältnis, weil es unter anderem um den Schutz der Russen in den baltischen Staaten geht.
Der OSZE-Generalsekretär habe dagegen in den vergangenen Jahren „deutlich an Statur gewonnen“. Er sei nicht mehr nur reiner Verwalter, sondern habe auch das Recht zur Einleitung von Diskussionen in der OSZE, habe sie bei den Vereinten Nationen vertreten und habe politische Gespräche mit Außenministern geführt. Der am vergangenen Freitag nach sechs Jahren aus dem Amt geschiedene italienische Diplomat Lamberto Zannier sei „ein großer Glücksgriff“ für die OSZE gewesen. Als Nachfolger brauche es „eine Person, die zupackend ist, die eine große Kenntnis der OSZE hat“, betont Zellner.
Dem österreichischen Vorsitz stellt Zellner zur Halbzeit ein gutes Zeugnis aus. „Was man in der Hand gehabt hat, das hat man gemacht, und das hat man auch gut gemacht“, lobt Zellner insbesondere auch den Anti-Radikalisierungs-Schwerpunkt. Kritik, wonach dieser innenpolitisch motiviert sei und nicht in die OSZE passe, kann der deutsche Friedensforscher überhaupt nicht nachvollziehen. Das Thema sei seit dem niederländischen Vorsitz im Jahr 2003 auf der Agenda und es habe seither „Dutzende von Beschlüssen“ dazu gegeben.
OSZE-Vorsitzender Sebastian Kurz habe mit seiner Reisetätigkeit und Präsenz bei OSZE-Treffen die Erwartungen erfüllt. Dass er nun im Wahlkampf steckt, „ist natürlich eine Ablenkung, das ist klar“. Aber er werde auch im Wahlkampf „noch die Zeit haben, die drei, vier entscheidenden Telefonate (mit OSZE-Amtskollegen, Anm.) zu führen, die notwendig sind“. Auch einen Wechsel im OSZE-Vorsitz als Folge der Nationalratswahl sieht Zellner entspannt. „Es wird immer einen österreichischen Außenminister geben“, und es habe unter früheren OSZE-Vorsitzen schon Wechsel gegeben. „Das muss nicht so gravierend sein.“
Keine Fortschritte gab es im Ukraine-Konflikt und bei den Personalia, doch sei das auch beim deutschen Vorsitz im vergangenen Jahr so gewesen. „Da, wo man abhängig war von der allgemeinen Situation in Europa, hat man es noch nicht geschafft“, sagte Zellner. Österreich konnte trotz seiner traditionell guten Beziehungen zu Russland nichts ändern an der sicherheitspolitischen Situation, die sich heuer im Vergleich zum Vorjahr „noch einmal verschlechtert hat“. „Wir sehen überall Rückschritte, keine Fortschritte“, beklagt Zellner. So habe sich etwa die Erwartung, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und den USA nach dem Regierungswechsel in Washington verbessern werden, „nicht erfüllt“.
Moskau und Washington messen der Organisation immer noch unterschiedlichen Stellenwert bei. Für die Amerikaner sei die OSZE verglichen etwa mit der NATO „von sehr, sehr nachgeordneter Bedeutung“. Die Russen hätten in der KSZE-Nachfolgerin gerne „das zentrale Sicherheitsinstrument Europas“ gesehen, ihr Verhältnis zur OSZE sei das einer „enttäuschten Liebe“, doch sei Außenminister Sergej Lawrow anders als seine US-Pendants bei OSZE-Treffen immer dabei.
Lawrow wird auch zum informellen OSZE-Außenministertreffen im niederösterreichischen Mauerbach am kommenden Dienstag erwartet. Zellner sieht in dem Treffen eine der wenigen Gelegenheiten, statt des Austauschs von Statements in einen Dialog einzutreten. „Wenn es gelingen sollte, die Außenminister tatsächlich in informelle Gespräche zu bringen, wäre das für mich ein großartiges Ergebnis. Es ist nicht die Zeit für politische Durchbrüche, das werden wir möglicherweise über Jahre nicht haben.“
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
~ WEB http://www.osce.org/ ~ APA051 2017-07-07/08:01