OSZE-Beauftragter sieht „völliges Auseinanderdriften“ der Ukraine
Wien (APA) - OSZE-Sonderbeauftragter Martin Sajdik ist äußerst besorgt wegen der Lage in der Ukraine. Zwischen Kiew und dem abtrünnigen pro-...
Wien (APA) - OSZE-Sonderbeauftragter Martin Sajdik ist äußerst besorgt wegen der Lage in der Ukraine. Zwischen Kiew und dem abtrünnigen pro-russischen Osten gebe es „ein völliges Auseinanderdriften, wirtschaftlich und administrativ“, beklagt Sajdik im APA-Gespräch. Die Zwischenfälle und Übergriffe auf Beobachter hätten massiv zugenommen. „Ich hoffe nicht, dass das alles in einer militärischen Logik endet.“
In den vergangenen Monaten sei „eine wirklich bedenkliche Entwicklung eingetreten“, sagt Sajdik. Es gebe deutlich mehr militärische Zwischenfälle, und insbesondere durch den Einsatz von schweren Waffen, die eigentlich hätten abgezogen werden sollen, habe sich die Opferzahl deutlich erhöht. Im Vergleich zum ersten Halbjahr habe sich die Zahl der zivilen Opfer mehr als verdoppelt, berichtet der österreichische Diplomat. Dazu komme eine „wachsende Aggressivität“ gegenüber den Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), „insbesondere in der sogenannten Volksrepublik Donezk“.
Doch auch Kiew setze nicht wirklich auf Entspannung. „Die Ukraine macht bei der Truppenentflechtung nicht weiter“, kritisiert Sajdik. In einigen Abschnitten sei die Armee sogar näher an die Kontaktlinie herangerückt. Dass Kiew die Separatistengebiete militärisch zurückerobern will, glaubt der Spitzendiplomat nicht. „Es sind keine Gebietsgewinne zu erwarten, die die Kontaktlinie verschieben.“ Die Ukraine habe sich aber in den vergangenen Monaten „militärisch konsolidiert“ und entwickle sich trotz des Krieges auch wirtschaftlich sehr gut, was in Moskau ungläubig verfolgt werde.
„Was die Zukunft anbelangt, habe ich tiefe Sorgenfalten“, sagt Sajdik. Dabei hat er insbesondere die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Weichenstellungen der beiden Seiten im Blick. Durch die ukrainische Transportblockade und die „Außenverwaltung“ von Betrieben unter ukrainischer Steuerhoheit in den Separatistengebieten driften die beiden Gebiete wirtschaftlich auseinander. Dabei hätten die wirtschaftlichen Verbindungen noch vor wenigen Monaten funktioniert. „Das war ein Ganzes. Die Kohle wurde vom Osten in den Westen gebracht, das Erz zur Verarbeitung vom Westen in den Osten“, erläutert Sajdik.
Mit den nunmehrigen Maßnahmen werde die Teilung des Landes „einzementiert“, sagt der OSZE-Beauftragte. Dazu komme, dass den in den Separatistengebieten lebenden Menschen der Kontakt zum Rest der Ukraine erschwert werde. „Die Menschen kommen nur mit großen Schwierigkeiten zu einem ukrainischen Pass“, sagt Sajdik. Zugleich kritisiert er, dass die Volksrepublik Donezk jüngst eine Verordnung über die Kontaktlinie als Staatsgrenze publiziert habe, mit der indirekt Anspruch auf die gesamte Region Donezk erhoben werde - also auch die von der Ukraine kontrollierten Teile.
Der OSZE-Sonderbeauftragte ist im Rahmen des Minsker Prozesses als Vermittler zwischen Moskau, Kiew und den pro-russischen Separatisten tätig. „Minsk hat als Lösungsinstrument bisher nicht die entsprechenden Resultate gebracht“, räumt Sajdik ein. „Es ist aber notwendig. Unser Format ist das einzige Gremium, in dem alle Seiten miteinander reden.“
Die in der weißrussischen Hauptstadt vor zwei Jahren getroffenen Vereinbarungen sehen einen Waffenstillstand, den Abzug von schweren Waffen und eine Truppenentflechtung vor. Den bisherigen Waffenstillständen war kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Derzeit sollten die Waffen eigentlich auch schweigen, um den Bauern das Einfahren der Ernte bis August zu ermöglichen. Von völliger Ruhe kann aber keine Rede sein. „Der Beschuss ist weniger geworden“, sagt Sajdik.
Die Minsker Vereinbarungen haben auch eine politische Seite, nämlich die Vorbereitung von Wahlen in den Separatistengebieten und die Stärkung ihrer Autonomie. Hier gehe „nichts weiter“, kritisiert Sajdik. Für Kiew habe nämlich die Sicherheitsfrage Priorität, während Moskau und die Separatisten „Klarheit wollen, dass sie einen Sonderstatus bekommen“. Die Autonomiegesetze sind im Kiewer Parlament zwar schon verabschiedet worden, die Schlussabstimmung stehe aber noch aus. Und aktuell gebe es in Kiew keine Mehrheit dafür.
Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer. „Im humanitären Sektor gibt es ein paar erfreuliche kleine Erfolge in der letzten Zeit“, berichtet Sajdik von Fortschritten beim Thema Gefangenenaustausch. „Wir sind im Bereich der Objektivierung der Voraussetzungen für den Gefangenenaustausch beachtlich weitergekommen.“ Nun sollen die Listen mit den rund 800 Namen durchgearbeitet werden, die meisten von ihnen sind in ukrainischer Gefangenschaft.
Vom informellen Treffen der OSZE-Außenminister kommende Woche im niederösterreichischen Mauerbach erhofft sich Sajdik ein Bekenntnis zur Sicherheit der OSZE-Mission und „dass den involvierten Seiten ihre große Verantwortung auch gegenüber den einzelnen Menschen (in der Ukraine, Anm.) wieder vor Augen geführt wird“. Ähnlich lautet sein Wunsch für die zweite Hälfte der österreichischen OSZE-Präsidentschaft: „Dass wir das Bewusstsein für den Schutz der Zivilbevölkerung noch mehr stärken können“.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
~ WEB http://www.osce.org/ ~ APA052 2017-07-07/08:01