Sand im Getriebe
Der Zusatz E 551 lässt Gewürze und Packerlsuppen seit 50 Jahren fein rieseln. Zuletzt sind die Nanoteilchen unter Verdacht geraten, chronische Darmentzündungen zu begünstigen.
Von Theresa Mair
Innsbruck –Was ergibt 7 mal 7? Feinen Sand. Ein Witz. Freilich, so fein, dass er beim Essen nicht zwischen den Zähnen knirscht, wird er dabei eher nicht. Die Lebensmittelindustrie verwendet deshalb winzige, so genannte nanostrukturierte Teilchen von Quarzsand. Das ist jetzt kein Witz und auch nichts Neues, sondern Usus seit 50 Jahren. Der Lebensmittelzusatz E 551, Siliciumdioxid, „ist nichts anderes als feiner Quarzsand“, sagt Alexander Moschen, der an der Uni-Klinik für Innere Medizin I in Innsbruck forscht.
E 551 sorgt z. B. dafür, dass Packerlsuppen, Gewürzmischungen und Instant-Kaffee nicht verklumpen. „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“, darf auch in Dragees, Nahrungsergänzungsmitteln und für die Oberfläche von Süßigkeiten verarbeitet werden. Maximal ein Prozent von dem Sand ist in Österreich in Scheiben- und Reibekäse erlaubt, wie die Agentur für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (AGES) mitteilt. WHO und FAO sowie der Lebensmittelausschuss der EU-Kommission haben Siliciumdioxid laut AGES geprüft und als sicher befunden. Als Nanopartikel im Speziellen haben sie E 551 aber nicht bewertet bzw. zugelassen. Ein Nanometer (nm) entspricht einem Millionstel Millimeter. Alles, was kleiner als 100 Nanometer ist, geht als Nanopartikel durch.
„Streng genommen sind Siliciumdioxid-Teilchen keine Nanopartikel, weil sie Klumpen bilden, die größer sind als 100 Nanometer. Primär haben sie jedoch die Struktur von Nanopartikeln. Sie bilden so genannte Aggregate und werden als nanostrukturierte Partikel bezeichnet“, erklärt Nägeli. Was passiert, wenn man Nanopartikel isst, darüber wisse man noch ganz wenig.
Nägelis Team hat dendritische Zellen im Ruhezustand aus der Darmschleimwand von Mäusen isoliert. Im Reagenzglas brachten sie die Zellen einmal mit Siliciumdioxid, einmal mit nanostrukturierten Teilchen von Titaniumdioxid (ebenfalls ein Nahrungsmittelzusatz, der Lebensmittel, z. B. Salatsaucen, weiß strahlen lässt) zusammen.
„Dendritische Zellen sind wie Sensoren, die kontrollieren, was mit dem Immunsystem in Kontakt kommt“, erklärt Nägeli. Während es bei Titaniumdioxid zu keiner Reaktion von den dendritischen Zellen kam, haben diese bei Siliciumdioxid ein entzündungsaktives Signalmolekül ausgeschüttet.
Aufgrund seiner Laborergebnisse könne man nun spekulieren, dass „die Zellen die nanostrukturierte Oberfläche von E 551 mit etwas sehr Gefährlichem verwechseln, weil sie z. B. ein ähnliches Muster wie ein gefährliches Bakterium aufweisen“ und deshalb eine Immunreaktion auslösen. Daher könnte „Siliciumdioxid ein weiterer begünstigender Faktor für chronisch entzündliche Darmerkrankungen sein“, so der Schweizer Forscher.
Den Eindruck, dass er mit seinen Untersuchungen einen Beweis dafür geliefert habe, möchte er aber „keinesfalls vermitteln“. Erstens, weil noch unklar ist, ob dieselbe Reaktion auch im menschlichen Darm stattfindet, wobei die Maus ein gutes Modell für das menschliche Immunsystem sei.
Zweitens, weil bei der Entstehung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eine Vielzahl von genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. „Eventuell ist es ein kleines Stück eines großen Puzzles. Nahrungsmittel-Zusatzstoffe sind nur ein Punkt. Emulgatoren können Übergewicht vorantreiben, künstliche Süßstoffe haben negative Auswirkungen auf den Stoffwechsel und das Mikrobiom (Anm.: die Keimwelt des Darms). Am besten, man isst so wenig raffinierte Lebensmittel wie möglich“, sagt auch der Innsbrucker Mediziner Moschen.
Nicht nur auf den Darm könnten die winzigen Sandpartikel negativ einwirken. Fütterungsversuche mit Ratten haben laut Nägeli gezeigt, dass die Nager bei der höchsten Dosis Leberschäden bekommen. Er fordert nun, dass die Lebensmittelfabrikanten mehr in die Pflicht genommen werden. „Sie sollen sich nicht immer nur auf alte Studien berufen können, sondern mit der Wissenschaft Schritt halten und auch eigene Studien anstellen.“ Immerhin sei es möglich, dass seine Ergebnisse nicht auf den Menschen zutreffen, vielleicht gebe es auch Alternativen zu E 551.
Verteufeln will Nägeli die Nanotechnologie nämlich nicht. An der ETH Zürich laufe ein Projekt, bei dem untersucht wird, wie mit zugesetzten Eisen-Nanopartikeln der Eisenmangel der Menschen dieser Welt behoben werden könnte. Nicht zuletzt entstehen sogar beim Puddingkochen ganz natürliche Nanopartikel des Milcheiweiß Kasein, wie die AGES informiert. Was E 551 angeht, so wird dieses demnächst von der Europäischen Lebensmittelbehörde neu bewertet und dafür werden neue Erkenntnisse berücksichtigt.