Kunst

Hermann Nitsch im Interview: “Fließt durch Ihre Adern kein Blut?“

© Thomas Boehm / TT

Hermann Nitsch „Unter den Bergen“: Der Maler und Aktionskünstler in einer sehenswerten Schau am Arlberg und im Gespräch über sein Wühlen im Innersten, Schnitzel im Gefängnis, Steueraffäre und den Tod.

Herr Nitsch, Sie sind gerade aus Tasmanien zurückgekehrt, wo im Juni im Rahmen des „Dark Mofo Festivals" Ihre 150. Malaktion stattgefunden hat. Es haben dort im Vorfeld einige Tierschützer protestiert. Ist das etwas, was Sie noch in irgendeiner Weise interessiert oder beschäftigt?

Hermann Nitsch: Das mit den Tierschützern ist ein großes Missverständnis, denn ich bin ja auch ein Tierschützer. Ich habe ja Viecher gern. Aber das begreifen die nicht. Das Ganze wird dann immer im Internet aufgeblasen, da sammelns Unterschriften ein — und dann, wenn die Sache stattfindet, sind gerade einmal 15 Demonstranten da.

Die große Anerkennung als Künstler kam zuerst im Ausland, nicht in Österreich. Interessanterweise regt sich heute hierzulande kaum mehr jemand auf, während es eher im Ausland zu Protesten kommt.

Nitsch: Das ist nicht voraussehbar. Und ich würde nie sagen, das hat sich gelegt. Ich glaube, meine Arbeit ist schon so abgründig, dass sie immer wieder Probleme schafft. Aber ich war sehr stolz in Tasmanien, dass die Jugend da war. Die jungen Leute interessiert das, nicht die alten.

Wie würden Sie denn jungen Menschen Ihre Kunst erklären?

Nitsch: Indem ich sie mache.

Hat es im Lauf Ihrer Karriere Zeiten gegeben, in denen Sie Gefallen am Skandal gefunden haben?

Nitsch: Ich habe mich ja sehr viel mit Künstlern beschäftigt, die ich verehrt habe. Bruckner, Wagner, Schönberg oder dann Schiele, Kokoschka, Klimt. Die haben alle Skandale gehabt. Manches Mal waren die aktionistischen Kollegen und ich schon stolz, haben gedacht: Wir sind auch so klasse Burschen wie die. Den Schiele haben sie eingelocht, den Kokoschka haben sie polizeilich verfolgt. Sowas wird sich immer wieder wiederholen, es werden wieder Jüngere und Neuere kommen, die missverstanden werden.

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Sie selbst hat man in den 1960ern auch eingelocht.

Nitsch: Drei Mal!

Wie war das?

Nitsch: Das Essen war ganz gut. Schnitzel hat man mit dem Löffel essen müssen, weil Messer hat man keines haben dürfen.

Was haben Sie im Gefängnis gemacht?

Nitsch: Gearbeitet. Das erste Mal waren der Brus (Günter, Amn.) und ich zusammen drin, das waren drei Tage und da haben sich gleich die größten Verbrecher für uns interessiert. Die anderen Male war es länger, 14 Tage, dann zehn Tage, da habe ich eine Einzelzelle gehabt und habe gearbeitet. War gar nicht so schlecht.

Die Ausstellung in St. Christoph trägt den Titel „Unter den Bergen" und ist unter Tage zu sehen. Das passt eigentlich gut zu Ihren Vorstellungen von einer unterirdisch angesiedelten Architektur, die Sie bereits in den 1960er-Jahren begonnen haben zu entwerfen. Wie kam es dazu?

Nitsch: Einer der Gründe war, dass es so viel scheußliche Architektur gibt und ich wollte die Welt nicht noch mehr verschandeln. Und ich komme ja aus dem Weinviertel, wo es die Weinkeller gibt, und das hat schon einen Reiz, in den Uterus zurückzukriechen. Der Rausch ist ja auch ein Zustand, der eine gewisse Geborgenheit suggeriert.

Wo kommt Ihre Faszination für Blut, für Gedärme, Innereien, das Rauschhafte her?

Nitsch: Was ist denn mit Ihnen los? Fließt durch Ihre Adern kein Blut? Was glaubens, wo es herkommt, wanns an Schas lassen? Das ist unsere innerste Notwendigkeit, mit der ich mich beschäftige. Jeder Mediziner muss das auch tun. Warum darf es kein Künstler tun?

Anfang der 1970er-Jahre haben Sie sich im niederösterreichischen Prinzendorf niedergelassen. Wie kam das?

Nitsch: Ich habe dort Verwandte gehabt. Die haben uns auch im Krieg geholfen, haben Lebensmittel in die Stadt gebracht. Durch die habe ich das Schloss kennen gelernt, das ich damals schon als mein Theater auserkoren hatte. Ich habe mir vorgestellt, wenn ich einmal alt bin, wird mir der Staat das Schloss zur Verfügung stellen, damit ich dort mein Theater machen kann. Dann habens mich drei Mal eingesperrt. Ich habe aber in Ausstellungen in Amerika immer wieder Fotos von Prinzendorf gezeigt und gesagt, das ist das Orgien Mysterien Theater. Und dann hat meine damalige Frau eine kleine Erbschaft bekommen. Damit haben wir das Schloss gekauft, das damals ganz billig abgestoßen wurde. So ist es dann doch Wirklichkeit geworden.

Und wie haben die Leute in dem 500-Seelen-Dorf reagiert?

Nitsch: Na ja, bin immer in die Weinkeller gegangen. Und war nicht so unbeliebt. Aber es gab auch Leute, die mich nicht mögen haben, beim Greißler hat es so ein Pickerl gegeben, da ist draufgestanden: Nitsch, nein danke. Das hat sich geändert. Ich glaube zurzeit mögens mich alle.

Sie sind längst zum Staatskünstler geworden.

Nitsch: Ja, und der Staat beutet mich auch aus. Hat mir ein Verfahren angehängt. Und ich darf zahlen und zahlen.

Ihre Frau wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Nitsch: Ich glaube, man hat uns sehr Unrecht getan. Ich habe mir alles, meine ganzen Aktionen, selber bezahlt, hab' keine Subventionen bekommen.

Aber Sie haben ein Museum in Mistelbach bekommen.

Nitsch: Ja, aber relativ spät. Und da bin ich sehr stolz drauf. Aber ich habe ja auch die ganzen Inhalte gespendet — und es ist nicht so, dass ich nur das Museum bekommen habe, ich musste auch etwas leisten.

Es gibt Pläne für ein neuerliches Sechs-Tage-Spiel nächstes Jahr zu Ihrem 80. Geburtstag in Prinzendorf?

Nitsch: Es wird wohl ein Jahr länger dauern, aber ich möchte das machen.

Große Werkschau

„Kathedrale“ hatte Hotelier Florian Werner den großen Ausstellungsraum seiner unterirdischen Kunsthalle arlberg1800 in St. Christoph bei der Eröffnung 2015 stolz getauft. Diese Kathedrale entpuppt sich nun als großartiger Ort für das Werk des österreichischen Malers und Aktionskünstlers Hermann Nitsch: „Unter den Bergen“, so der Titel der umfassenden Werkschau von musealer Qualität, entfaltet sich aber nicht nur die zwingende Wucht von Nitschs monumentalen Schüttbildern, man wird u. a. mit Auszügen aus dem großen Mappenwerk zur Architektur des Orgien Mysterien Theaters auch in die verschlungenen, grafischen Gedärme des Nitsch’schen Gesamtkunstwerks geleitet. Bis 8. April 2018.

Warum wird's länger dauern?

Nitsch: Eben wegen der ganzen Finanzsachen.

Sie sind 1938 geboren. Welche Erinnerungen haben Sie an die Kindheit im Krieg?

Nitsch: Bombenangriff um Bombenangriff. Jeden Tag. Als Kind schon erfahren, was der Tod ist und Angst vor dem Tod.

Fürchten Sie sich heute vor dem Tod?

Nitsch: Ja.

Interessieren Sie sich für das gegenwärtige Kunstschaffen anderer?

Nitsch: Ich liebe eigentlich am meisten die toten Künstler. Michelangelo, Leonardo, Tintoretto, Bach, Beethoven, die habe ich gern, das sind keine Konkurrenten, die stehlen mir nix (lacht). Und im gegenwärtigen Kunstschaffen — da bin eh ich.

Da sind Sie sich selbst genug?

Nitsch: Genug nicht, aber ich gehe gern meinen Weg.

Das Gespräch führte Ivona Jelcic

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