Hamilton: „Wie kann man nur so herzlos sein?“
Der britische Formel-1-Superstar Lewis Hamilton (32/Mercedes) sinniert in einem sehr privaten Gespräch über Armut, Politik und Freiheit, über Menschenrechte und auch seine Zeit nach der Formel 1.
Von Karin Sturm
Spielberg — Viele sehen in ihm nur den harten Kämpfer auf der Rennstrecke. Oder den Showstar, der sich mit Goldschmuck und Tattoos ausgiebig in den sozialen Medien präsentiert, der viele Musik- und Hollywoodstars zu seinen Freunden zählt. Aber Lewis Hamilton, der sich in dieser Saison mit Sebastian Vettel einen heißen Kampf um den Formel-1-WM-Titel liefert, hat auch noch eine ganz andere Seite.
Sprechen wir einmal nicht nur über den Rennsport: Was motiviert den Menschen Lewis Hamilton? Was treibt Sie an, welche Werte, welche Ziele?
Lewis Hamilton: Um Werte geht es da weniger. Werte sind etwas, das man mitbekommen hat, die trage ich in mir. Was mich aber vor allem antreibt im Leben, ist die Tatsache, dass das Leben kurz und wertvoll ist. Viele von uns, vielleicht sogar alle, sehen das Leben als etwas Normales an, als etwas, was garantiert da ist. Aber das ist es nicht. Plötzlich wird jemand krank — und dann fängt er auf einmal an, die Dinge ernst zu nehmen. Ich versuche, es von Anfang an ernst zu nehmen.
Was hat Sie zu dieser Erkenntnis gebracht? Das Risiko, mit dem Sie konfrontiert sind?
Hamilton: Mein einschneidendes Erlebnis war, als vor etwa vier Jahren meine Tante gestorben ist. Ich war in den letzten zwei Wochen ihres Lebens fast die ganze Zeit bei ihr. Und an ihrem letzten Tag hat sie gesagt, dass sie so viel für später aufgespart habe, für die Dinge, die sie vielleicht noch einmal machen wollte. Sie hat immer gedacht, sie habe noch so viel Zeit — und dann hatte sie auf einmal keine mehr. Dieses Gespräch hat bei mir bewirkt, dass ich versuche, wirklich jeden Tag so intensiv wie möglich zu nutzen und zu schätzen.
Verstärkt Ihr Background, Ihre Herkunft aus einfachen Verhältnissen, diese Gefühle noch?
Hamilton: Schwer zu sagen — ich weiß ja nicht wirklich, wie das ist, wenn man anders groß geworden wäre. Der Vorteil dessen, wo ich herkomme, ist, dass ich jetzt beide Enden des Spektrums erfahren habe. Ich weiß, wie es ist, irgendwo auf einer Couch zu schlafen — oder auch am Boden. Und jetzt bin ich an einem Punkt, wo ich eigentlich alles haben kann. Aber das, was mir aus der Zeit meiner Jugend bis heute geblieben ist, ist dieser Hunger nach Erfolg.
Sie haben diesen grandiosen Aufstieg geschafft — planen Sie, in Zukunft etwas zurückzugeben, anderen zu helfen?
Hamilton: Eine Stiftung, wie sie so viele andere Prominente haben, das ist irgendwie nichts für mich. Auch wenn es sicher ganz viele gibt, die gute Arbeit machen. Aber der Rennsport hat mir so viel gegeben — mit Sicherheit möchte ich etwas zurückgeben. Nur auf welche Weise, das habe ich noch nicht entschieden. Aber was mich am meisten interessiert, sind Kinder und deren Bildung. Der Plan ist, mich in der Zukunft da noch viel mehr zu engagieren.
Interessieren Sie sich eigentlich für Politik?
Hamilton: Sagen wir so: Ich schaue mir die Nachrichten an. Was mir Sorgen macht, ist, dass die Welt von bestimmten Leuten kontrolliert wird — aber da kann ich nichts dagegen tun. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass die Welt heute in einem schlimmen Zustand ist, vielleicht im schlimmsten überhaupt, seit ich mich erinnern kann. Was in der heutigen Zeit alles passiert, wie der Terroranschlag von Manchester. Das ist alles unfassbar. Aber es hat mich auch nicht mehr losgelassen, als ich die Bilder von den toten Kindern nach dem Giftgas-Angriff in Syrien gesehen habe. Wie können Menschen so dumm und so herzlos sein, so etwas zu tun?
Nun sind Sie sehr bekannt, haben Millionen von Followern in den sozialen Netzwerken. Glauben Sie, dass Sie da etwas bewirken, vielleicht Menschen auch für bestimmte Dinge sensibilisieren können?
Hamilton: Ich kann Menschen nicht verändern, das kann man grundsätzlich nicht. Aber man kann vielleicht den einen oder anderen durch eine Botschaft, die man verbreitet, inspirieren. Wenn ich ein Krisengebiet wie Haiti nach dem Erdbeben besuche, vielleicht werden dann andere, die das sehen, ermutigt, dorthin zu gehen und zu helfen.
Haben Sie ein Vorbild?
Hamilton: Ich habe keine echten Helden oder Idole in meinem Leben. Aber Vorbilder, die mich inspiriert haben. Als Fahrer eben Ayrton Senna, dann Muhammad Ali — und Nelson Mandela. Ich bewundere sie, weil sie sich für andere eingesetzt haben, wie sie sich selbst immer treu geblieben sind. Nelson Mandela war für mich menschlich der Größte überhaupt. Ins Gefängnis zu gehen, dann herauszukommen und mit denen, die einen eingekerkert haben, Tee zu trinken ...
Haben Sie Nelson Mandela einmal näher kennen gelernt?
Hamilton: Ja, wir sind so etwas wie Freunde geworden, er hat mich nach Südafrika eingeladen, ich habe dort eine Woche mit ihm zusammen verbracht. Das war für mich eine der schönsten und wichtigsten Erfahrungen.
Nelson Mandela hat für die Freiheit gekämpft — was bedeutet Freiheit für Sie?
Hamilton: Freiheit ist die Chance, einfach zu wachsen. Das ist wie bei einer Blume. Wenn man die mit einem festen Draht umgibt, dann kann sie auch nicht wirklich erblühen.