Polizei befürchtet nach zweiter G-20-Krawallnacht weitere Gewalt

Hamburg/Wien (APA/dpa) - Nach der zweiten heftigen Krawallnacht in Hamburg rechnet die Polizei auch zum Abschluss des G-20-Gipfels am Samsta...

Hamburg/Wien (APA/dpa) - Nach der zweiten heftigen Krawallnacht in Hamburg rechnet die Polizei auch zum Abschluss des G-20-Gipfels am Samstag mit gewaltsamen Protesten. Die Gewalttäter würden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unter die Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G-20“ mischen, erklärte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

Unterdessen setzte sich kurz nach 13.00 Uhr die Demonstration „G20 - not welcome!“ mit 20.000 Teilnehmern in Bewegung. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) geriet nach der zweiten Nacht mit schweren Krawallen am Rande G-20-Gipfels unter Druck.

„Es ist davon auszugehen, dass erneut kein friedlicher Protest möglich sein wird“, so Meyer. Zu der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G-20“, die auch von autonomen und linksextremen Gruppen unterstützt wird, versammelten sich am Mittag mehrere Tausend Menschen. Insgesamt werden bis zu 100.000 Menschen erwartet. Die Demo wurde von dem Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken angeführt, der die Demonstration angemeldet hatte. Der Protest richtet sich vor allem gegen Armut, Krieg und die Ursachen von Flucht. Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) appellierte am Samstag an van Aken, „einen friedlichen Verlauf sicherzustellen“.

Die Aufräumarbeiten kamen nach den heftigen Ausschreitungen im links-alternativen Hamburger Schanzenviertel schnell voran. Die Proteste waren am späten Freitagabend eskaliert. Zunächst konnten Randalierer mehrere Stunden lang an der Straße Schulterblatt frei gewähren. Ein Geschäft der Drogerie-Kette Budnikowsky und ein REWE-Supermarkt wurden geplündert.

Danach ging die Polizei mit einem massiven Aufgebot und Spezialkräften gegen mehrere hundert Randalierer vor. Mit gepanzerten Fahrzeugen wurden brennende Barrikaden weggeschoben. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Im Laufe der Nacht beruhigte sich die Lage. Vereinzelt kam es in den frühen Morgenstunden noch zu Flaschenwürfen auf Polizeifahrzeuge.

„G20: Eine solche Nacht darf sich in unserem Rechtsstaat nicht wiederholen!“, twitterte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sprach von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“.

Der Hamburger CDU-Oppositionschef Andre Trepoll warf Bürgermeister Scholz vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage rund um den G-20-Gipfel versagt zu haben. Die Lagebewertung des rot-grünen Senats habe sich bereits am ersten Tag als völlig falsch erwiesen. „Wie kam es zu der Einschätzung, man könne den Gipfel mit dem Hafengeburtstag gleichsetzen?“ Weshalb Scholz seine „markige Sicherheitsgarantie“ für den Gipfel nicht habe halten können, müsse im Zentrum der politischen Aufarbeitung stehen. Scholz äußerte sich sehr besorgt über die schweren Ausschreitungen und forderte gewalttätige Demonstranten zum sofortigen Rückzug auf.

Ein Großteil der Warenhäuser und Geschäfte in der Hamburger Innenstadt blieb am Samstag geschlossen, wie City-Managerin Brigitte Engler der Deutschen-Presse-Agentur sagte. Die Schließungen seien von den Geschäftsleuten mit dem Schutz der Mitarbeiter angesichts der Bilder aus der Krawallnacht begründet worden.

Die Polizei griff bei den schweren Krawallen nicht früher ein, weil sie nach eigenen Angaben um das Leben ihrer Beamten fürchtete. Die Polizei habe Erkenntnisse gehabt, dass Gehwegplatten auf Dächern abgelegt und Brandflaschen vorbereitet worden seien. Während des Einsatzes sei mit Stahlkugeln auf Polizisten geschossen worden, sagte Sprecher Timo Zill. „Es ging eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeamten aus. Wir wollten nicht schlecht vorbereitet in das Schanzenviertel gehen und die Räumung nicht durchbekommen.“

Die Randalierer hatten eine Spur der Verwüstung hinterlassen: Zerstörte Fahrräder, Mülltonnen, Steine und Trümmer lagen auf der Straße, Fensterscheiben waren eingeschlagen. Es roch nach verbranntem Plastik. Auf dem Rollladen eines Geschäfts stand „Chaostage Hamburg“.

Bei den gewaltsamen Protesten wurden nach Angaben der Hamburger Polizei bisher mindestens 213 Beamte verletzt. In der Krawallnacht auf Samstag seien 43 Menschen festgenommen und 96 in Gewahrsam genommen worden. Seit Beginn des Polizeieinsatzes am 22. Juni wurden den Polizeiangaben zufolge bisher insgesamt 143 Menschen fest- und 122 in Gewahrsam genommen. Zur Zahl der verletzten Demonstranten konnten weder Polizei noch Feuerwehr Angaben machen.

Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum „Rote Flora“ distanzierte sich von den Gewaltexzessen. „Wir haben den Eindruck gehabt, dass sich hier etwas verselbstständigt hat, dass hier eine Form von Militanz auf die Straße getragen wurde, die sich so ein bisschen an sich selbst berauscht hat - und das finden wir politisch und inhaltlich falsch“, sagte Blechschmidt dem NDR.

Die Organisatoren der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G-20“ lehnten eine Distanzierung von den Gewaltexzessen im Hamburger Schanzenviertel ab. „Wenn wir uns distanzieren, nützt das keinem, und wenn wir uns nicht distanzieren nützt das auch keinem“, sagte Werner Rätz vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac am Samstag.

Auch die Gipfelgastgeberin, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Gewalt bereits am Freitag scharf kritisiert. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere reagierte am Samstag entsetzt auf die Krawalle und Plünderungen in Hamburg. „Die Brutalität, mit der extrem gewalttätige Chaoten gestern und vorgestern in Hamburg vorgegangen sind, ist unfassbar und empörend“, sagt der CDU-Politiker. „Das sind keine Demonstranten, das sind Kriminelle.“ Die Angriffe hätten nichts mit politischen Motiven oder Protest zu tun.

Scholz zeigte sich besorgt über die Ausschreitungen. „Ich appelliere an die Gewalttäter, mit ihrem Tun aufzuhören und sich zurückzuziehen und die Gewalttaten nicht mehr zu verüben, sondern ein friedliches Miteinander in dieser Stadt weiterhin möglich zu machen“, sagte er. „Ich bin sehr besorgt über die Zerstörungen, die stattgefunden haben. Ich bin bedrückt über das, was viele zu ertragen haben.“

Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl kritisierte die Entscheidung der deutschen Regierung, das Spitzentreffen in die Hansestadt zu vergeben. „Man hätte den G-20-Gipfel nie in einer Millionenstadt wie Hamburg veranstalten dürfen. Die Sicherheitslage ist dort viel zu schwer zu kontrollieren“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Sein Parteikollege, Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte dagegen am Freitagabend in den ARD-“Tagesthemen“, eine Großveranstaltung wie der G20-Gipfel könne nur in einer Großstadt stattfinden. Wenn man Teilnehmer und Medienvertreter zusammenrechne, sei man bei 10.000 Menschen, sagte der CDU-Politiker. „Die müssen untergebracht werden. Und das geht ja nur in einer großen Stadt, die die entsprechenden Kapazitäten hat.“

Der CDU-Politiker Armin Schuster verlangte die Schließung bekannter Zentren der linken Szene. Schuster kritisierte das Vorgehen der Justiz. „Die Justiz muss sich fragen lassen, ob angesichts der schon im Vorfeld klar erkennbaren Gewaltneigung nicht stärker von Versammlungsauflagen und -verboten hätte Gebrauch gemacht werden müssen“, sagte er. Er verlangte ein konsequentes Vorgehen gegen die Randalierer: „Ich hoffe auf sehr harte Strafen und Haftung der Festgenommenen, ohne dass die morgen wieder auf freiem Fuß sind.“

Auch der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte ein hartes Vorgehen gegen die Gewalttäter. „Diese extremistischen Kriminellen gehören nicht auf die Straße, sondern vor Gericht“, erklärte Maas am Samstag in Berlin. Das Demonstrationsrecht sei „kein Freibrief für hemmungslose Randale“. Wer Polizisten verletze und Autos anzünde, „hat keine Toleranz verdient“.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn nannte die militanten Demonstranten „Linksfaschisten“. Das CDU-Präsidiumsmitglied übte auf seiner Facebook-Seite zugleich Kritik an der aus seiner Sicht zu unkritischen Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die Gewalttäter.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz nahm die Polizei beim G-20-Gipfel gegen Kritik in Schutz. Es sei „unerhört und populistisch, wenn einige Politiker der Polizei vorwerfen, sie wäre für die Ausschreitungen von Linksautonomen mitverantwortlich“, sagte der sächsische Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU). Er verurteilte die „sinnlose Gewalt und Zerstörungswut, diese menschenverachtenden Angriffe auf Polizisten“ aufs Schärfste.

Zum Abschluss des G-20-Gipfels am Samstagnachmittag in Hamburg erwartet zudem die Initiative „Hamburg zeigt Haltung“ 20.000 bis 30.000 Demonstranten bei ihrer Veranstaltung (12.00 Uhr), die am Hafenrand entlang bis zum Fischmarkt führen soll. Hinter „Hamburg zeigt Haltung“ steht ein breites Bündnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, SPD, Grünen und Künstlern.

Zur Unterstützung der deutschen Polizei sind auch 215 Polizisten aus Österreich, darunter 20 Beamte der Sondereinsatzeinheit Cobra und 74 Personen der Spezialeinheit WEGA sowie Grenz- und Verkehrspolizisten aus dem Burgenland und aus Kärnten sind in Hamburg im Einsatz. Manche von ihnen sind am Flughafen stationiert oder kümmern sich um den Verkehr. Einige waren laut einem Sprecher des Innenministeriums in Wien am Freitag auch im Schanzenviertel im Einsatz. Drei Beamte wurden demnach mit Pflastersteinen beworfen und leicht verletzt