Lehrern steht das Wasser oft schon bis zur Unterlippe
Nicht jammern, sondern Lösungen finden. Im kommenden Schuljahr startet ein Projekt, das Tirols Lehrkräften Hilfe und Rat bietet.
Von Sabine Strobl
Innsbruck –Steht den Lehrern das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern schon bis zur Unterlippe? Dieses Bild stellt der deutsche Erziehungswissenschafter Albert Wunsch in den Raum. Der Autor von „Die Verwöhnungsfalle“ referiert demnächst in Tirol zu den gegenwärtigen Herausforderungen von Pädagogen. Die Veranstaltung ist auch der Startschuss einer Initiative, mit welcher der Katholische Tiroler Lehrerverein, Verein für Pädagoginnen und Pädagogen, in den Herbst geht. Mit „Wir um vier“ soll ab Oktober ein flächendeckendes Supervisionsangebot für das Lehr- und Kindergartenpersonal geschaffen werden. Mit im Boot sind Tirols Lebens- und Sozialberater.
„Zusammensetzen nach Dienstschluss ist gut, aber es braucht eine professionelle Moderation. Wir wollen ziel- und lösungsorientiert auf Probleme reagieren. Es geht nicht darum, zu schimpfen, zu werten oder zu jammern“, erklärt ktlv-Obmann Josef Pallhuber, der vor zwei Jahren schon ein Angebot für Innsbrucks Pflichtschuldirektoren geschaffen hat.
Das neue Projekt soll standort-, typen- und altersübergreifend in kleinen Gruppen in der Nähe des Wohnorts stattfinden, erläutert Elke Pallhuber, pädagogische Mitarbeiterin beim ktlv, weiter und nennt Beispiele von möglichen Themen. „Trotz Fortbildung gibt es Probleme bei der neuen Beurteilung. Eine NMS-Lehrerin will wissen, wie andere mit dem neuen System umgehen. Eine Kindergartenpädagogin möchte Rat, wie sie die Unterschiede zwischen überbehüteten und vernachlässigten Kindern überbrücken gut kann.“ Versteht sich, dass die angesprochenen Probleme in der Gruppe vertraulich behandelt werden.
Doch welche Entwicklungen führen dazu, dass Lehrern das Wasser oft schon weiter als bis zum Hals steht? Wie Josef Pallhuber beobachtet, verändern sich die Verantwortungsgebiete schleichend. „Doch die Aufgaben der Schule werden mehr.“ Die Wirtschaft klopft an, weil sie gut ausgebildete und sozial kompetente Arbeitskräfte erwartet. Durch die Nachmittagsbetreuung wird mehr Erziehungsarbeit als noch vor zehn Jahren geleistet. Gleichzeitig bringen sich Eltern mehr ein oder machen auch Druck. „Verständlicherweise ist die interkulturelle Auseinandersetzung bis hin zur Terrorproblematik gefragt.“ Hinzu kommt Organisationsarbeit wie die für einen klugen Sexualunterricht und eine neue Dokumentationskultur. Zusammenfassend sagt Pallhuber: „Schule ist ein sehr sichtbarer Querschnitt der Gesellschaft. Und Lehrer können sich der gesellschaftlichen Verantwortung nicht entziehen.“ Abgesehen davon werde man an den Schulen an zeitgerechten Unterrichtsmethoden arbeiten müssen. Sich von 9.40 Uhr bis 10.30 in Reih und Glied sitzend mit dem Auge der Kuh zu beschäftigen, sei passé.
Auch die Schulreformen der Politik machen den Pädagogen zu schaffen. Sie würden den Glauben an die Schulpolitik verlieren. Fazit: Es sollte weniger über die Köpfe der Lehrer hinweg entschieden werden, sondern mit ihnen gearbeitet werden.
Die Supervisorin Doris Andreatta organisiert und begleitet das Projekt. „Alle beteiligten Supervisorinnen sind Mitglied auf der Expert-Liste, haben Erfahrungen im pädagogischen Bereich und zusätzliche Ausbildungen. So können wir bei besonderen Problemen Spezialisten einsetzen.“ Auch sie beobachtet die vorher genannten Herausforderungen der Lehrer und betont das geforderte Qualitätsmanagement. „Lehrer müssen vermehrt in der Öffentlichkeit auftreten. Das ist eine Chance, kann aber auch eine Belastung sein.“ Ihr Ansatz: „Wir wollen Prävention leisten, Probleme gleich aufgreifen und zielorientierte Lösungswege erarbeiten. In der Supervision agieren alle Gruppenmitglieder in der Erarbeitung von Lösungen unterstützend, niemand ist mit Problemen alleine.“