Sprachlos leben, fraglos lieben: Zwei Romane aus Vorarlberg
Wien (APA) - „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, besagt ein altes Sprichwort. Zwei Romane von Vorarlberger Autoren beschäftigen sich der...
Wien (APA) - „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, besagt ein altes Sprichwort. Zwei Romane von Vorarlberger Autoren beschäftigen sich derzeit auf unterschiedliche Weise mit Sprachlosigkeit. Jürgen-Thomas Ernst zeigt in „Schweben“, dass um das große Glück kleiner Leute nicht viele Worte gemacht werden muss, Barbara Lutz lässt Armut und Wortkargheit in „Keinen Seufzer wert“ zu einer tödlichen Mischung werden.
Mit seinem 2010 erschienenen Debütroman „Anima“ über einen Hohenemser Wunderläufer des 19. Jahrhunderts ließ der 1966 in Lustenau geborene und in Hohenems aufgewachsene Autor Jürgen-Thomas Ernst aufhorchen. Mit „Vor hundert Jahren und einem Sommer“ legte er 2015 ein auch sprachlich überbordendes Außenseiter-Märchen vor. Sein neuer Roman „Schweben“ ist nun das glatte Gegenteil: In extremer sprachlicher Reduktion berichtet er von einer Liebesgeschichte, die nach herkömmlichen Kriterien nicht nur kaum der Rede wert wäre, sondern in der tatsächlich nicht viel geredet wird.
Rosa und Josef lernen einander im Sommer 1960 kennen. Ihre Liebe wird ein Leben lang währen. Doch der Tod wird die beiden, die einander wortlos verstehen und in der Nähe des anderen bereits ihr ganzes Glück finden, vorzeitig auseinanderreißen. „Später setzte er sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Die eingedellten Kissen trugen noch die Spuren ihres Körpers. Hier hatte sie noch vor einigen Stunden ihre Suppe gehessen und seine Hand gehalten. Als er lange auf den leeren Platz starrte, flüsterte er: ‚Das ist nicht gerecht.‘“ Passagen wie diese zerreißen auch das Herz des Lesers.
„Es war mir bewusst, dass das Eis dünn ist. Es kann brechen, dann wird es kitschig oder banal, es war mir bewusst, dass es schief gehen kann“, sagte Ernst im Interview mit den „Vorarlberger Nachrichten“. „Der Ansatz war die eigene Geschichte, die Geschichte der Eltern. Ich wollte aber ein Idealbild schaffen, das Idealbild einer Beziehung.“
Rosa und Josef hatten das Glück, in den 1960er-Jahren von einem Wirtschaftsaufschwung zu profitieren, der dem auf Arbeitssuche nach Vorarlberg gekommenen Paar ein einfaches, anspruchsloses Leben ermöglichte. Hundert Jahre zuvor sah die Welt noch ganz anders aus. 1860/61 spielt der Roman „Keinen Seufzer wert“ der 1959 in Dornbirn geborenen und bei Bern lebenden Ethnologin und Autorin Barbara Lutz. Sie lässt den arbeitsloser Schuhmacher und Taglöhner Jakob Wyssler mit seiner Familie im Schweizer Emmental bei einem entfernten Verwandten Quartier nehmen - eine schlechte Entscheidung, wie sich bald herausstellt.
Der frömmlerische Bauer Res Schlatter entpuppt sich als Geizkragen erster Güte, der aus Habgier und Verfolgungswahn mit allen Mitteln verhindert, dass die bitterarme Familie Fuß fasst. Der Hass wird immer größer, und die Wysslers sind nicht die einzigen, die dem Ausbeuter den Tod wünschen. An eine offene Aussprache ist nicht zu denken , die wenigen Wortwechsel führen immer tiefer in die Katastrophe. Während Jürgen-Thomas Ernst jedoch für sein Sujet einen reduzierten Erzählstil von großer, berührender Schlichtheit findet, gibt es bei Lutz keine stilistische Entsprechung: Das Elend wird in langen und gelegentlich auch langatmigen Wiederholungen gesteigert, um schließlich und unausweichlich in die Tragödie zu münden.
Lutz, die vor vier Jahren den Kriminalroman „Russische Freunde“ vorgelegt hat, orientiert sich in ihrer Geschichte an einem wahren Kriminalfall aus 1861 und lässt Originalquellen wie Anklageschrift, Verhörprotokolle und zeitgenössische Presseberichte in einen zweiten Erzählstrang einfließen, der den Fall in einem altertümlichen, protokollarischen Ton als Untersuchungsbericht von hinten aufrollt. Am Ende steht der Tod: „Fünf Menschenleben sind verwirkt. Meuchlings ermordet der Schlatter Andreas, die Täter mit dem Schwert gerichtet. Ihre enthaupteten Leiber wurden vom Schafott geworfen und ihnen die Köpfe nachgeschleudert. Möge der Leser Lehren daraus ziehen, die mir, das gestehe ich betreten, vorerst verschlossen bleiben vor Entsetzen.“
(S E R V I C E - Jürgen-Thomas Ernst: „Schweben“, Braumüller Verlag, 204 S., 20 Euro, ISBN 978-3-99200-189-7; Barbara Lutz: „Keinen Seufzer wert“, Limmat Verlag, 240 S., 24 Euro, ISBN 978-3-85791-838-4)