Der Eisborg gegen den infantilen Rabauken
In „Borg/McEnroe“ erzählt Janus Metz vom Jahrhundertduell der zwei Gladiatoren, die 1980 auch den Tenniszirkus neu erfanden.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In den 60er-Jahren war Tennis auch in Schweden noch ein „Sport für Gentlemen“, weshalb in den Vereinen Kinder aus der Arbeiterschicht ungeachtet ihres Talents nur geduldet wurden, wenn ihre Manieren Unterwerfung verrieten. Daher knallt der junge Björn Borg die Bälle am liebsten im Hinterhof gegen ein Garagentor und dreht auf dem Eislaufplatz unermüdlich einsame Runden, denn der Bub verfügt über eine zweite Begabung. Er könnte, wenn man ihn ließe, ebenso der beste Eishockeyspieler der Welt werden. Lennart Bergelin (Stellan Skarsgård), der Manager des schwedischen Davis-Cup-Teams, hat es als Spieler nie zur Weltspitze geschafft, aber ohne Vorurteile ist er in der Lage, ein Ausnahmetalent zu erkennen, während Borgs Eltern bereits den Verkauf des sinnlosen Schlägers planen.
Bergelin zeigt Borg den Weg aus Wutanfällen und damit in die hermetische Welt der Tenniselite. Bei allen kommenden Triumphen war Borg jeweils der jüngste Sieger und 1980 könnte Borg, gerade einmal 24 Jahre alt, der erste Spieler sein, der zum fünften Mal das Wimbledon-Turnier gewinnt.
Es sind diese Erinnerungen an Zurücksetzungen und Qualen in der Kindheit, mit denen der dänische Dokumentarfilmer Janus Metz in seinem Kinodebüt „Borg/McEnroe“ seinem Helden Leben einhaucht. Die Medien haben für den schwedischen Superstar, der von der Grundlinie aus seine Gegner zermürbt, das Wortspiel „Eisborg“ erfunden. Tatsächlich verweigert Borg (Sverrir Gudnason) nicht nur in Mimik und Sprache emotionale Äußerungen, in Hotelzimmern bevorzugt er bei den Klimaanlagen den Gefrierpunkt, um seine Pulsfrequenz bei 50 zu halten. Dafür schlüpft der Sportler bei seinen Auftritten an den angesagten Adressen der Ära in einen Pelzmantel. Es ist die Attitüde eines Popstars, die auch in Begleitung von Damen und Zwangsneurosen nichts am Image des Langeweilers ändern kann. Wesentlich mehr Stoff bietet John McEnroe (Shia LaBeouf), der mit seinen Ausfällen und Beschimpfungen von Schiedsrichtern und Publikum zum „schlimmsten Amerikaner seit Al Capone“, aber auch zum Lieblingspunk der Sportjournalisten geworden ist. Der 20-jährige New Yorker liefert bei jedem Turnier mit zertrümmerten Holzschlägern spektakuläre TV-Bilder zur öffentlichen Erregung. Dabei lassen sich auch bei McEnroe für die aggressiven Grenzüberschreitungen Erklärungen in früh erfahrenem Leid finden. Das von erbarmungslosen Eltern geschundene Wunderkind, das den Erwartungen nie gerecht werden konnte, ist ein infantiler Rabauke geblieben. Daher wird die Konfrontation Borg/McEnroe in Wimbledon zum Jahrhundertmatch, zu einem neuen „Rumble in the Jungle“ hochstilisiert: „Ice Borg vs. Super Brat“.
Das legendäre Fünf-Satz-Spiel, das sich mit zwei Tie-Breaks über vier Stunden hinzog, komprimiert Janus Metz mit Großaufnahmen der Gladiatoren auf zwanzig Minuten, wobei die internationalen Kommentatoren in ihren Reporterboxen die Spannung zu diesem abstrakten Spiel generieren müssen. Ähnlich abstrakt bleiben leider auch die Protagonisten, die mit ihrem Stil und ihren Eigenheiten den modernen Tenniszirkus erfunden haben.