Bericht: EU-Verteidigungspolitik steht und fällt mit Deutschland

Brüssel (APA) - Die Zukunft einer europäischen Verteidigung steht und fällt mit Deutschland. Zu diesem Schluss kommt ein Report der Brüssele...

Brüssel (APA) - Die Zukunft einer europäischen Verteidigung steht und fällt mit Deutschland. Zu diesem Schluss kommt ein Report der Brüsseler Denkfabrik „Friends of Europe“, der am heutigen Donnerstag erscheint. Der Autor des Berichts, der „Politico“-Kolumnist und langjährige EU-Korrespondent von Reuters, Paul Taylor, sagte, Berlin habe den nötigen Finanzspielraum und stehe auch unter Druck von NATO und der USA.

Die Annexion der zur Ukraine gehörenden Krim durch Russland 2014, russische Cyber-Sabotage, die Flüchtlingskrise von 2015, der islamistische Terror, das britische Brexit-Votum und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 sowie eine immer stärker autoritäre und instabile Türkei hätten „die geistige Landkarte von Angela Merkel verändert, einer instinktiv vorsichtigen Politikerin, die fast ein Jahrzehnt lang wenig Interesse an Verteidigungspolitik gezeigt hat“, heißt es in dem 214 Seiten starken Bericht mit dem Titel „Über den eigenen Schatten springen. Deutschland und die Zukunft der Europäischen Verteidigung“ über die deutsche Bundeskanzlerin.

Berlin befinde sich seitens seiner NATO-Verbündeten, europäischen Partner und globalen Wirtschaftsakteuren unter wachsendem Druck, mehr Verantwortung für die internationale Sicherheit zu übernehmen. Dabei seien Deutschlands Verteidigungsausgaben 2014 auf 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken - weit weniger als das NATO-Ziel von 2,0 Prozent - und würden voraussichtlich auf diesem Niveau stagnieren, meint Taylor.

„Für Deutschland besteht die Herausforderung darin, über den Schatten seiner Vergangenheit zu springen, eine echte strategische Kultur zu entwickeln, eine aussagekräftigere Außenpolitik zu betreiben und brauchbarere Streitkräfte aufzubauen, die mit entsprechender Ausbildung und Ausrüstung bei Bedarf schnell einsetzbar sind“, heißt es in dem Report.

Dabei misst der Autor der im Aufbau befindlichen „Strukturierten Zusammenarbeit“ der EU-Staaten in Militärfragen (PESCO) nur eine eingeschränkte Bedeutung bei. PESCO (Permanent Structured Cooperation) sei „ein großes Zelt, geschaffen aus Versprechungen“ für „die große Familie“ aller EU-Staaten. Ebenso wie in der Eurozone sei dabei fraglich, was aus diesen Versprechungen werde. Die wirkliche Herausforderung liege in der Schaffung einer europäischen Interventionstruppe, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angeregt hatte, zeigt sich Taylor überzeugt. „Die Franzosen betrachten PESCO vorrangig als Instrument zur Entwicklung militärischer Kapazitäten für Kriseneinsätze, wogegen die Deutschen zunächst lieber unumstrittene, einfach zu erreichende Ziele umsetzen würden, zum Beispiel die Schaffung eines EU-Sanitätsdienstes, einer gemeinsamen Logistik und einer EU-Einheit für die Cyberverteidigung“, heißt es in dem Bericht.

Der Autor sieht im Wesentlichen drei sich teilweise überschneidende Optionen für die Regierung in Berlin beim Aufbau einer europäischen Verteidigungspolitik. So könnte Deutschland weiter hauptsächlich auf die NATO setzen, was Polen, die skandinavischen und baltischen Staaten zufriedenstellen würde. Der Nachteil sei, dass die meisten zusätzlichen Ausgaben für Vorkehrungen in den unwahrscheinlichsten, aber gefährlichsten Fall fließen müssten, nämlich ein russisches Eindringen in NATO-Gebiet. Damit bliebe die Bewältigung von wahrscheinlicheren Problemen in Afrika und im Nahen Osten, die zu neuen Flüchtlingsströmen führen könnten, den Franzosen und Briten überlassen.

Eine zweite Option für Berlin wäre der Vorrang der EU-Verteidigung, etwa durch Investitionen in den EU-Verteidigungsfonds. Berlin könnte auch eine Erhöhung seines Beitrags für die EU-Agentur für die Grenz- und Küstenwache anbieten, müsste bei dieser Option aber eine begrenzte Form von „Transferunion“ in der Sicherheitspolitik in Kauf nehmen. Auch würden Deutschland und Frankreich wohl nicht akzeptieren, bei Entscheidungen überstimmt zu werden, die ihre eigenen Soldaten in Gefahr bringen. Eine dritte Option wäre ein Mittelweg. Dieser könnte „zu einer Arbeitsteilung führen, bei der Frankreich akzeptiert, dass Deutschland vorwiegend für die Territorialverteidigung in Mitteleuropa verantwortlich ist und Berlin Missionen an der südlichen Peripherie Europas unter Leitung Frankreichs stärker als bisher finanziell und logistisch unterstützt“.

Der Brite Taylor hält es zudem für wahrscheinlich, dass Großbritannien trotz Brexit in einem praktischen Arrangement mit der EU-Verteidigungspolitik verbunden bleibt. So sei etwa eine britische Beteiligung am EU-Verteidigungsfonds denkbar. Es wäre sinnlos für die Europäer diese Option auszuschließen, sagte er.

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