NR-Wahl 2017

Grüne bangen um Einzug: Lunacek hofft auf Neustart nach Debakel

Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek.
© REUTERS

Die Grünen bangen nach einem Desaster bei der Nationalratswahl um den Einzug in den Nationalrat. Der Spitzenkandidatin wird dennoch nicht die Schuld am schlechten Abschneiden gegeben.

Wien – Angesichts der jüngsten Wahl-Hochrechnungen, die auf ein Herausfliegen der Grünen aus dem Nationalrat hindeuten, hat sich Spitzenkandidatin Ulrike Lunacesk Sonntagabend bestürzt gezeigt. „Ich hoffe, das (der Wiedereinzug, Anm.) wird uns noch gelingen, aber ja, es ist ein Debakel“, sagte sie in der ORF-Wahlsendung über die „Zitterpartie“. Nun müsse der „Neustartknopf“ gedrückt werden.

Sie sprach von einer „bitteren Niederlage, da gibt es nichts zu beschönigen“. Zu Peter Pilz merkte sie an, dass dieser schon vor dem Bundeskongress der Partei, bei dem er den gewünschten vierten Listenplatz nicht erreicht hatte, seine eigenen Liste vorbereitet habe. Sie bedaure diesen Schritt und auch dessen Konsequenzen.

Die Grünen hätten einen Wahlkampf geführt, der auf Respekt und auf Inhalte gesetzt habe. Von den Wählern sei dieser nicht so anerkannt worden, wie die Grünen sich das gewünscht hätten. Nach dieser Niederlage werde es nun „notwendig sein, so etwas wie einen Neustartknopf zu drücken“, meinte Lunacek.

Übernahme der Spitzenkandidatur rang Respekt ab

Auch wenn es für die Grünen in der Wählergunst am Sonntag verdammt weit nach unten ging, wird kaum jemand den Stab über Ulrike Lunacek brechen. Dass die 60-Jährige bereit war, den ehrenvollen Posten der Vizepräsidentin im EU-Parlament für das aussichtsarme Unternehmen Nationalratswahl aufzugeben, nötigte inner- wie außerhalb der Partei einiges an Respekt ab.

Es war die dritte Spitzenkandidatur der 60-jährigen Niederösterreicherin und immerhin schon die zweite nach internen Turbulenzen. Als sie bei der EU-Wahl 2009 Johannes Voggenhuber als Listenersten abgelöst hatte, reagierte dieser ebenso beleidigt wie diesmal Peter Pilz, weil dieser von der Basis nicht seinen Wunsch-Listenplatz zugewiesen bekommen hatte.

Grünen bei Lunacek-Übernahme schon im Tiefflug

Der Unterschied zu damals, als es noch relativ glimpflich abging: Die Grünen befanden sich heuer schon im Vorfeld im Tiefflug und Pilz machte sich im Gegensatz zu Voggenhuber selbstständig und brachte seine ehemalige Heimatpartei an den Rand der Bedeutungslosigkeit. Lunacek hatte dem populistischen Weggefährten alter Tage „nur“ Sachpolitik entgegen zu setzen und damit sichtlich nicht das, was der Wähler des Jahres 2017 wünschte.

Wie gar nicht so wenige Grüne stammt Lunacek aus einem konservativen Elternhaus. Ihr Vater war unter anderem Generaldirektor bei der Raiffeisen Ware, die Familie lebte in Niederösterreich und Wien durchaus bürgerlich. Eine andere Lebensbiographie wäre durchaus möglich gewesen.

Doch die junge Ulrike Lunacek hatte andere Pläne. Nach einem Austauschjahr in den USA studierte sie in Innsbruck Dolmetsch für Englisch und Spanisch. Sie war etwa beim Aufbau des Innsbrucker Frauenhauses involviert, Redakteurin des Magazins „Südwind“ und Obfrau des Vereines „Frauensolidarität“. Weitere Stationen der passionierten Schwimmerin, die bei den Eurogames für homosexuelle Sportler zahlreiche Medaillen einsammelte: Der Sportverein für Lesben und Freundinnen „Marantana“, das Österreichische Lesben- und Schwulenforum sowie das Wiener „TheaterBrett“, wo sie als Pantomime auftrat.

Parteikarriere seit 1995

Ihre parteipolitische Karriere begann Lunacek 1995, als sie erstmals für den Nationalrat kandidierte, jedoch etwas überraschend angesichts des enttäuschenden Abschneidens der Grünen scheiterte. Entschädigt wurde Lunacek ein Jahr später, als sie zur Bundesgeschäftsführerin avancierte. 1999 gelang schließlich der Sprung in den Nationalrat, dem sie bis zum Wechsel ins Europaparlament im Jahr 2009 angehörte.

Was Lunacek da wie dort auszeichnete, war der Drang zur Sachpolitik. Wichtig war ihr, die seit vielen Jahren in einer Beziehung mit einer Peruanerin lebt, stets die rechtliche Gleichstellung Homosexueller. In der Europapolitik wurde der Kosovo zu ihrer Schwerpunkt-Region. Dort war sie Berichterstatterin des Europaparlaments.

Wegen ihres Engagements ist Lunacek weit über die eigenen Parteigrenzen anerkannt. Auch innerhalb der Grünen wird wenig Negatives über sie berichtet. Als Schwäche gesehen wird allenfalls, dass sie als ein wenig beratungsresistent gilt. Volkstümlichkeit ist nicht Lunaceks größtes Atout, aber an sich schlägt sie sich auch im Kontakt mit der nicht unbedingt grün-affinen Wählerschaft ordentlich, sonst hätte sie als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl 2014 wohl auch nicht jene 14,5 Prozent erreicht, die bis heute das beste Ergebnis ihrer Partei bei einem bundesweiten Urnengang bedeuten.

Wahlkampf ohne Fehler, dennoch desaströses Ergebnis

Dass es diesmal nicht geklappt hat, muss man ihr nicht ankreiden. Sie hat das geboten, was man von ihr erwarten konnte, ein klassisches Kernschichten-Programm, freundlich-sachlich vorgetragen. Echte Fehler der Spitzenkandidatin blieben aus. Es mag jedoch sein, dass eine andere Persönlichkeit besser zur aktuellen Situation gepasst hätte, doch war das G‘riss um den Job nach dem überraschenden Abgang von Eva Glawischnig und dem Abschied von den Jungen Grünen nicht gerade groß.

Das Schicksal, die Grünen möglicherweise nach über 30 Jahren aus dem Nationalrat geleiten zu müssen, hat sich Lunacek nicht verdient. Kaum Trost für sie wird sein, dass ihr Platz im Europaparlament noch vorhanden ist. Bundespolitisch ist ihre Karriere mit dem heutigen Tag aber wohl zu Ende. Das Comeback der Grünen wird vermutlich eine frischere Kraft in die Wege leiten müssen.

Zur Person: Ulrike Lunacek wurde am 26. Mai 1957 in Krems an der Donau geboren. Sie studierte Englisch- und Spanisch-Dolmetsch an der Universität Innsbruck, engagierte sich national und international im Frauen- und Sozialbereich, arbeitete als Journalistin und ist seit den 1990er-Jahren bei den Grünen aktiv. 1996 wurde sie Bundesgeschäftsführerin erstmals in eine bedeutende Funktion. Von 1999 an war Lunacek ein Jahrzehnt Mitglied des Nationalrats, ehe sie ins Europaparlament wechselte, wo sie es bis zur Vizepräsidentin brachte. Bei ihrem zweiten Antritt als Spitzenkandidatin für eine EU-Wahl erzielten die Grünen im Jahr 2014 14,5 Prozent und damit das historisch beste Ergebnis bei einem bundesweiten Urnengang. (TT.com/APA)