Innsbrucker Forscher zerpflücken Grazer Kunstschnee-Studie
Das Grazer Joanneum Research (JR) zeigte positive Effekte künstlicher Beschneiung auf das Klima auf. Innsbrucker Wissenschafter kritisieren sowohl das wissenschaftliche Verhalten des JR als auch die Ergebnisse der Studie.
Von Nikolaus Paumgartten
Innsbruck – Wer Hänge künstlich beschneit, leistet einen Beitrag zu einer positiven Klima- und Energiebilanz. Im Mai des heurigen Jahres sorgte diese Meldung aus Graz für einige Aufmerksamkeit. Forscher des Joanneum-Research-Zentrums für Klima, Energie und Gesellschaft (LIFE) hatten im Auftrag des Fachverbandes der Seilbahnen Österreichs 79 Tiroler und 32 steirische Skigebiete untersucht und dabei den möglichen kühlenden Effekt – den so genannten Albedo-Wert – von beschneiten Hängen auf das Klima erhoben.
Demnach reflektieren weiße Schneeflächen den Großteil der Sonnenstrahlung und erwärmen sich nicht so stark. Die Schlussfolgerung von LIFE-Leiter Franz Prettenthaler fiel damals deutlich aus: „Ein höherer Albedo-Wert bedeutet für die Strahlungsbilanz der Erde einen geringeren Strahlungsantrieb und daher weniger Erwärmung. Der positive klimatische Effekt der Oberflächen-Albedo-Änderung aufgrund beschneiter Pisten überwiegt den negativen Emissionseffekt der Kunstschneeerzeugung.“
Kritik an wissenschaftlicher Vorgangsweise
Kritik an der wissenschaftlichen Vorgehensweise kam kurz nach der Veröffentlichung der Ergebnisse aus Tirol. Georg Kaser, Professor am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck, bemängelte das Fehlen von Informationen über Methoden und Daten. Gestern erneuerte er gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Gurgiser, Koordinator des Forschungsschwerpunkts „Alpiner Raum – Mensch und Umwelt“, im Rahmen einer Pressekonferenz die Kritik.
„Es gibt einen Kodex des wissenschaftlichen Forschens. Bei dieser Studie wurde allerdings keiner der Punkte erfüllt“, meint Kaser. Normalerweise müssten Ergebnisse solcher Studien vor der Veröffentlichung begutachtet werden und der fachlichen Überprüfung standhalten. Außerdem müssten die Datengrundlagen und Berechnungsmethoden der wissenschaftlichen Gemeinde nachvollziehbar zugänglich sein. Das, so Kaser, sei nicht passiert. Er selbst habe erst auf mehrmalige Nachfrage die Langversion der Studie erhalten, auf der Homepage des Research-Zentrums ist diese erst seit Kurzem abrufbar. „Wir sind offen für den wissenschaftlichen Dialog, allerdings nur unter Einhaltung der wissenschaftlichen Standards auf allen Seiten“, sagt Kaser.
Inhaltliche Kritik an den Erhebungen und Schlussfolgerungen übt Wolfgang Gurgiser: „Den Albedo-Effekt schätzen die Grazer Autoren viermal so hoch ein wie den der Stromproduktion und kommen so zum vermeintlichen Schluss, dass Schneekanonen für das Klima positiv seien. Aber nicht nur ist die Basis dieser Aussage völlig unklar, die Steirer Kollegen berücksichtigen auch weder den langfristigen Effekt, den der CO2-Ausstoß auf das Klima hat, noch weitere Faktoren, die mit der Beschneiung unmittelbar zusammenhängen.“ Nicht in die Studie eingeflossen sei konkret der CO2-Ausstoß, der bei der Verteilung des Kunstschnees, der Wartung der Anlagen sowie der Errichtung der Infrastruktur – etwa von Speicherteichen – entsteht. „Welche Auswirkungen die Beschneiung auf das Klima hat, kann derzeit niemand seriös beantworten“, meint Gurgiser.
Michael Rothleitner, Leiter des Schneezentrums Tirol, sieht in der Grazer Studie den Anstoß zu einer weiteren und vertiefenden Diskussion und begrüßt die Initiative der Innsbrucker Wissenschafter, die Erkenntnisse einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Letztlich gehe es darum herauszufinden, welche Handlungsoptionen man in der Winterindustrie in der Zukunft hat.
Leiter im Joanneum weist Vorwürfe zurück
Franz Prettenthaler, Leiter des Joanneum-Research-Zentrums für Klima, Energie und Gesellschaft, weist die Vorwürfe aus Innsbruck entschieden zurück. „Wir haben Georg Kaser sowie auch anderen Klimaforschern in Österreich bereits im Mai die Langfassung der Studie zur Verfügung gestellt und unsere Methode schon im Jahr 2010 veröffentlicht“, betont er. Dass die Studie nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden und erst seit einigen Tagen auf der Homepage abzurufen ist, liegt an den Vorgaben des Auftraggebers. Denn bis vor Kurzem habe der Fachverband der Seilbahnen Österreichs die Langform der Studie dafür nicht freigegeben, erklärt Prettenthaler.