Blick von außen

Wieso der Iran Syriens Bürgerkrieg gewann

Einblicke in ein zerstörtes Land. Ohne Hoffnung und mit einer ungewissen Perspektive.
© AFP

Aus dem Aufstand gegen die brutale Assad-Diktatur ist ein Kampf zwischen der sunnitischen Opposition und dem vom schiitischen Iran samt Russland gestützten Regime geworden.

Von Petra Ramsauer

Sumaias letzte Nachricht aus ihrer Heimatstadt Daraya bestand aus zwei Sätzen. „Ich bin in Todesangst. Bitte bete für mich.“ Das syrische Regime hatte an diesem Tag mehrere Dutzend schäbiger grüner Linienbusse gechartert, die am Stadtrand dieses Vororts von Syriens Hauptstadt Damaskus bereits warteten. An einem Sommertag des Vorjahres stieg sie mit ihrem Baby auf dem Arm und ein paar Habseligkeiten in einer gestreiften Plastiktasche in einen dieser Busse. Es war ein Abschied für immer – eine Wahl hatte sie nicht.

Ihre Stadt, eine eben gefallene Hochburg der syrischen Opposition, war besiegt, die zirka 1000 Bewohner wurden zwangsweise in die Flucht chauffiert. Ab November 2012 waren sie samt der Kämpfer zweier Widerstandsmilizen im Belagerungszustand, wurden ausgehungert und kontinuierlich bombardiert. Die Not war so groß, dass Sumaia über Monate nur Gras mit ein paar Kräutern aß und tagelang im Keller lebte. Viele Bastionen der syrischen Opposition wurden so erobert. Mitte August 2016 fiel Daraya.

Metamorphosen einer Stadt

Vor dem Krieg war die Stadt für die üppigen Weinstöcke und Kunsttischlereien bekannt, war ein Touristenmagnet, weil hier die blitzartige Wandlung von Saulus zu Paulus stattgefunden haben soll. Daraya vollzog auch nun einige Metamorphosen im Zeitraffer: von der blühenden Vorstadt zum Trümmerfeld und vergangenen Sommer zu einer Bastion des Irans. Die Grundstücke in dieser Stadt wurden von iranischen Immobilienfirmen aufgekauft, die zum Wirtschaftskomplex der „Iranischen Revolutionsgarden“ gehören: Es ist eine mächtige paramilitärische Einheit, die direkt unter dem Befehl des spirituellen Führers des Irans, Ali Khamenei, steht.

Laut Recherchen der britischen Zeitung The Guardian wurden bereits im heurigen Sommer 400 schiitische Familien aus dem Irak in Dara­ya angesiedelt. Sumaia floh bis in die Türkei und hat dort davon erfahren. Mit dem Gedanken, jemals wieder in ihre Heimat nach Syrien zurückzukehren, hat sie abgeschlossen. „Das Land gehört nicht mehr zu mir“, sagte sie vor ein paar Tagen.

Ihr Schicksal wiederholte sich tausendfach: Besonders im Grenzgebiet zum Libanon sind zahlreiche Städte, die von der Opposition zurück­erobert wurden und deren Bevölkerung floh, nun nicht nur militärisch, sondern mittlerweile auch laut Grundbuch in der Hand der Iranischen Revolutionsgarden und der mit ihnen eng verbündeten Hezbollah, einer schiitischen Miliz im Libanon. Mehr und mehr kristallisiert sich somit heraus, dass der Iran, einer der engsten Verbündeten von Syriens Präsident Bashar al-Assad, als eigentlicher Sieger dieses sechs Jahre dauernden Konflikts hervorgeht.

Die Weichen wurden bereits im zweiten Kriegsjahr gestellt. Da griff der Kommandant der Auslandseinheit der Iranischen Revolutionsgarden, Qassim Solimani, einer der mächtigsten Männer im Iran, direkt in den syrischen Bürgerkrieg ein. Der 60-jährige General reiste ab diesem Zeitpunkt regelmäßig nach Damaskus und übernahm zu einem Gutteil das Kommando in dem Krieg. „Als Solimani 2012 zum ersten Mal nach Damaskus reiste, war die Armee Bashar al-Assads so gut wie am Zusammenbrechen. Sie war auf gerade ein Fünftel ihrer Stärke reduziert“, sagt Bashar al-Zoubi, eine der führenden Figuren der moderaten bewaffneten syrischen Opposition, der „Freien Syrischen Armee“ (FSA).

Russland als Unterstützer

Zahlreiche Soldaten der syrischen Armee, die zu den Sunniten Syriens gehören, desertierten bereits in den ersten Monaten und schlossen sich der FSA an. 75 Prozent der Bevölkerung Syriens sind sunnitische Muslime. Zwölf Prozent sind Christen, die Präsidentenfamilie der al-Assads gehört zur Minderheit der Alawiten, die weitere zwölf Prozent der syrischen Bevölkerung stellen. Dabei handelt es sich um eine Glaubensgemeinschaft, die zum Islam gehört, aber eigene Rituale und Interpretationen pflegt. Schon ab den 1980er-Jahren zählte Hafez al-Assad, der Vater von Syriens heutigem Präsidenten, zu den engsten Verbündeten der damals neuen Führung im Iran. Dieser Draht zwischen den beiden Staaten verstärkte sich, als Bashar al-Assad unter Druck kam: Aus dem Aufstand gegen die brutale Assad-Diktatur ist ein Kampf zwischen der sunnitischen Opposition und dem vom schiitischen Iran samt Russland gestützten Regime geworden.

Während Russlands Armee quasi den Luftkrieg übernahm, griffen iranische Milizen als „Bodentruppen“ in den Konflikt ein. Qassim Solimani baute für Assad förmlich eine neue Armee auf: Er orchestrierte die Bildung von syrischen paramilitärischen Einheiten, die aus 90.000 Kämpfern bestehen, und eine regelrechte Söldnerarmee: Die libanesische Hezbollah schickte Tausende in den Krieg nach Syrien, dazu wurden Brigaden formiert, die aus Milizen aus Pakistan, Afghanistan und der schiitischen Bevölkerung des Iraks bestanden. Mindestens 100.000 ausländische Kämpfer unter dem Oberkommando von Solimani stärkten Syriens Präsident Assad den Rücken.

Es sind Männer wie der Iraker Abu Ahmed al Asaf: „Es war und ist meine religiöse Pflicht, auf Seiten des syrischen Regimes zu kämpfen“, erklärt der ehemalige Journalist, warum er aus Bagdad 2013 aufbrach, um die Haut des Präsidenten des Nachbarlandes zu retten: „Es geht um den Schutz der heiligen Stätten der Schiiten in Syrien, aber auch darum, uns gegen jihadistische Gruppen wie die al-Kaida und den Islamischen Staat zu verteidigen.“ Lange war al Asaf bei Kämpfen um die Stadt Zabadani dicht an der syrisch-libanesischen Grenze im Einsatz. Nun steht er in seiner Heimat unter Waffen: Als Teil der paramilitärischen „Volksmobilisierungseinheiten“ kämpfe er nun für die „Einheit des Iraks“: lange gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“, seit wenigen Wochen gegen kurdische Kämpfer um die Kontrolle der Stadt Kirkuk.

Schiitische Gotteskrieger

Auch in diesem Krieg im Irak mischt der iranische General Solimani kräftig mit: So wie er in Syrien dem Krieg ­Assads den Rücken stärkte, griff er ab 2014 auch der von Schiiten dominierten irakischen Regierung unter die Arme. In dem Jahr war es den Terroristen gelungen, binnen weniger Wochen ein Drittel des Iraks und die Hälfte des Territoriums Syriens einzunehmen. Die „Volksmobilisierungseinheiten“ formierten sich unter Anleitung Solimanis: Insgesamt 140.000 zum Großteil freiwillige schiitische Kämpfer, die in dem Kampf gegen den so genannten „Islamischen Staat“ einrückten. „Wir sind schiitische Gotteskrieger. Es geht um unseren Glauben, nicht um ein bestimmtes Land. Sondern um die Verteidigung aller Schiiten. Hier im Irak, in Syrien, wo wir gebraucht werden“, beschreibt Abu Ahmed al Asaf sein Motiv: „Und dieser Kampf ist längst noch nicht zu Ende.“

Unter der Führung des Irans bildete sich während der vergangenen Jahre eine Achse, die von der libanesischen Hezbollah bis zu den nun fest im Irak verankerten schiitischen „Volksmobilisierungsmilizen“ und dann bis Teheran reicht. Wichtigstes Glied in dieser Kette ist Syrien, wo der Iran nun massiv seine Pflöcke einschlägt. Dabei geht auch um das große Geschäft mit dem Wiederaufbau Syriens, der laut Internationalem Währungsfonds bis zu 200 Milliarden Euro kosten wird. Unternehmen, die in enger Verbindung zu den Iranischen Revolutionsgarden stehen, erhielten bereits milliardenschwere Aufträge, um das Mobilfunknetz wieder aufzubauen, weitere Firmen erhielten erst vor wenigen Monaten den Zuschlag für Reparaturarbeiten an Kraftwerken. Aleppos Gouverneur beauftragte das eigens eingerichtete „Iranische Komitee für Wiederaufbau“ mit der Errichtung von 55 Schulen. Und über 40 Immobilien-Firmen kauften sich im großen Stil mit Land und Boden in Syrien ein.

Syriens Präsident Bashar al-Assad, der nun 52 Prozent des Landes samt aller großen Städte kontrolliert, ist nun gänzlich auf die Gunst Russlands und des Irans angewiesen, ohne dessen Milizen er nicht mehr in der Lage ist, für Sicherheit im Land zu sorgen. Er mag mit brachialer Gewalt den Krieg gewonnen haben, nur wird er den Sieg nur mithilfe iranischer Milizen halten können. Für die sechs Millionen Flüchtlinge wie Sumaia, fast ausschließlich Sunniten, wurde so Syrien zu einem Land, das ihnen bisweilen weder gehört, noch in den meisten Fällen noch zu ihnen zu gehören scheint.

Zur Person

Petra Ramsauer ist seit 20 Jahren als Krisen- und Kriegsberichterstatterin tätig. Ramsauer hat mehrere Bücher („Die Dschihad-Generation. Wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht") veröffentlicht.

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