Kern im Interview: „SPÖ braucht Erneuerungsparteitag“
SPÖ-Vorsitzender Christian Kern will die liberalen, weltoffenen und sozialgesinnten Bürger an die SPÖ binden und traditionelle SPÖ-Wähler zurückgewinnen. Dafür plant er 2018 einen Erneuerungsparteitag.
Muss die SPÖ neu aufgestellt werden. Braucht die SPÖ einen Erneuerungsparteitag?
Kern: Wir brauchen einen Erneuerungsprozess und zu diesem Zwecke braucht es als Zwischenschritt einen Erneuerungsparteitag. Der soll zwischen Juni und September 2018 stattfinden. In diesem Zusammenhang muss der Programmprozess abgeschlossen und die Organisationsstruktur neu aufgesetzt werden. Wir haben es in der Wahlkampagne geschafft, völlig neue Leute für die Mitarbeit zu gewinnen. Die Frage ist nun, wie können wir diese Menschen weiter in unsere Aktivitäten integrieren?
Der Programmprozess und die geplante Organisationsreform wurde zuletzt immer wieder in die Länge gezogen.
Kern: Es stimmt, durch den Wahlkampf wurden diese Aktivitäten eingebremst. Aber was wir jetzt bei der Nationalratswahl erkannt haben, ist eine massive Wählerwanderung. Die SPÖ hat im ländlichen Raum Wähler verloren. Zugleich haben wir im urbanen Raum zum Teil hohe Zugewinne erreichen können. Uns muss es jetzt gelingen, in den kleineren und größeren Städten das liberale, weltoffene, sozialgesinnte Potential an uns zu binden und wir müssen gleichzeitig traditionelle SPÖ-Wähler zurückgewinnen. Wir waren in vielen Bereichen nicht klar genug. Wir brauchen eine personelle und strukturelle Erneuerung, um bei der Wahl wieder vorne zu sein. Schauen Sie sich nur die Wahlergebnisse sozialdemokratischer Parteien in anderen Länder an. Es braucht klare Antworten in zentralen Fragen. Da meine ich auch das Migrationsthema.
Die SPÖ hat sich jahrelang diesem Thema verweigert.
Kern: Wir brauchen eine klare Positionierung, die alle mittragen. Die Menschen müssen klar erkennen, wofür die SPÖ überhaupt steht.
Das heißt konkret?
Kern: Bei der Migration muss klar sein, dass wir eine vernünftige Position der Mitte einnehmen: Ja zum Asylrecht. Ja zu den Menschenrechten. Aber auf der andere Seite dürfen wir unser Land durch illegale Migration nicht überfordern.
Soll die SPÖ wieder eine prononciert linke Partei werden?
Kern: Das politische Spektrum ist in seiner Gesamtheit in Österreich nach rechts gewandert. Die ÖVP hat sich längst zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt. Wir müssen demgegenüber die progressive Partei sein, die künftig das Mitte bis mitte-links-Spektrum abdeckt. Wir müssen den Begriff „Volkspartei“ für die SPÖ neu definieren. Das heißt, nach dem Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament und der Implosion der Liste Pilz müssen wir das politische Zuhause erweitern, damit diese Wähler bei uns eine Heimat finden können. Zugleich brauchen wir eine klare Sprache, um frühere SPÖ-Wähler wieder zurückgewinnen zu können.
Sie kennen die Baustellen in der SPÖ seit 16 Monaten hautnah. Haben Sie es verabsäumt, mit Beginn ihres Vorsitz klare Zeichen zu setzen?
Kern: Wir haben schon viel erreicht, vieles wird kommen. Sehen Sie sich unseren Parlamentsklub an. Der Frauenanteil wurde auf 46 Prozent ausgebaut, jeder zweite Abgeordnete ist neu. Wir werden in der Arbeiterkammer eine Wachablöse haben, ebenso in der Wiener SPÖ. Die Parteizentrale wird neu aufgestellt. Für die Sozialdemokratie ist es in der Tat eine existentielle Frage, Erneuerungsfähigkeit zu beweisen.
Sie planen in der kommenden Woche eine Klausur. Soll da schon der neue Bundesgeschäftsführer bestellt werden?
Kern: Nein, wir müssen jetzt die richtigen Fragen stellen und die richtigen Antworten finden. Der Klub, die Parteizentrale und das Renner-Institut sind die drei Zentren. Da müssen wir jetzt die Aufgabenbereiche festlegen und die Strukturen so gestalten, dass hier die Räder ineinandergreifen.
Wann soll in der Parteizentrale die Personalfrage entschieden sein?
Kern: Das wird rund um den Jahreswechsel passieren.
Baustellen gibt es zudem in den Bundesländern. Wichtig ist das für die SPÖ Wien. Dort gibt es einen anhaltenden Richtungskampf. Soll oder muss die SPÖ hier eine Kampfabstimmung bei der Häupl-Nachfolge verhindern?
Kern: Eine Kampfabstimmung hat Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, dass danach alle an einem Strang ziehen. Wichtig ist aber, dass alle verstehen, dass wir Wien bei den Wahlen im Jahre 2020 gegen Schwarz-Blau verteidigen müssen.
Ist für Sie in Wien eine Doppelspitze wie einst Helmut Zilk und Hans Mayr vorstellbar?
Kern: Das war erfolgreich, genauso wie beides in der Hand von Michael Häupl erfolgreich war. Ich denke, die Lösung Partei und Bürgermeisteramt in einer Hand hat Vorteile.
Im Frühjahr stehen vier Landtagswahlen an, wo es für die SPÖ nicht viel zu gewinnen gibt.
Kern: Der Zeitgeist liefert jedenfalls keinen Rückenwind. Aber ich bin optimistisch, dass wir in Kärnten mit Peter Kaiser den Landeshauptmann-Sessel verteidigen werden. In Salzburg ist die Partei sehr motiviert, für Niederösterreich hat Franz Schnabl das Brechen der ÖVP-Absoluten als Ziel ausgegeben.
Und Tirol bleibt eine sozialdemokratische Diaspora?
Kern: In Tirol rechne ich mit Zugewinnen. Da würde ich Wetten annehmen. Wir haben dort mit der Tiroler Parteiobfrau Elisabeth Blanik ein exzellente Frau an der Spitze.
Das Gespräch führte Michael Sprenger