Eine Reise durch die Parabeln der Niederlagen
In Paolo Virzìs US-Kinodebüt „Das Leuchten der Erinnerung“ brillieren Helen Mirren und Donald Sutherland als altes Ehepaar.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Als „Das Leuchten der Erinnerung“ im Wettbewerb des diesjährigen Festivals von Venedig uraufgeführt wurde, erzählte der italienische Regisseur Paolo Virzì („Die Überglücklichen“, „Die süße Gier“), wie er durch eine haarsträubende Forderung seinem US-amerikanischen Debüt entgehen wollte, indem er auf der Mitwirkung der Stars Helen Mirren und Donald Sutherland bestand – vergeblich. Vielleicht hat die beiden schon das Lesen der ersten gemeinsamen Szene überzeugt.
Sutherland lenkt als John Spencer ein kaum noch fahrtüchtiges Wohnmobil über einen Highway, neben ihm sitzt Helen Mirren als Ella. Der erste Satz, mit dem der ehemalige Literaturprofessor den Dialog eröffnet, erschüttert gleichermaßen Starstatus und Ehefrau: „Hast du gefurzt?“ Das ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit, denn John Spencer stellt das Klischee der Vornehmheit dar. Wann immer im Verlauf der Geschichte der an Demenz leidende Mann aus Ellas Blickfeld verschwindet, genügt der verzweifelten Ehefrau die Beschreibung eines „vornehmen alten Herren“, um von Passanten auf die richtige Spur gelenkt zu werden. Irritierender und manchmal kränkender sind Johns geistige Verwirrungen. Aus heiterem Himmel fällt in der Hitze des Südens Schnee, der John frösteln lässt, während sich Ella in Gretta verwandelt. Es besteht kein Grund zur Eifersucht, da Gretta in der Erzählung „Die Toten“ von James Joyce einen Mann in Dublin zum Taumeln bringt, als er erkennen muss, sich in einer Illusion verloren zu haben.
Eine andere literarische Parabel über die Niederlagen des Lebens ist Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. John kann den Roman über den Fischer Santiago, der nach Wochen der Flaute den Fang seines Lebens macht und mit ansehen muss, wie Haie ihm die Beute wegfressen, auswendig. Diese Begeisterung erklärt auch die Reiseroute von Massachusetts nach Florida, das Ziel soll das Ernest-Hemingway-Haus in Key West sein.
Ein Roadmovie durch den amerikanischen Kontinent ist immer eine allegorische Reise, die an historischen und politischen Rasthäusern vorbeiführt. Mit der Datierung der Reisebewegung auf den Sommer 2016 macht Paolo Virzì auch die Haltung und die Verwirrung seiner Figuren deutlich. Wo Ella und John Spencer in diesem Sommer auch hinkommen, der Slogan „Make America great again“ schallt aus Lautsprechern entlang der Straßen und auf Johns Sakko steckt bald ein Trump-Sticker. Dabei war er immer ein Aktivist der Demokraten. In einem Restaurant muss er zur Kenntnis nehmen, dass Hemingway-Forschung keine Vorteile bringt, denn die (farbige) Kellnerin, die ihm den Burger serviert, hat ihre Diplomarbeit über „Der alte Mann und das Meer“ geschrieben, sich beruflich aber nicht verbessern können. Glücklicherweise ahnt John nichts vom Zustand seiner Frau. Wenn Ella im Wohnmobil ihre Perücke abnimmt, sind die Verwüstungen der Chemotherapie zu sehen. Am Ende sind es die beiden Stars, die Würde und Glorie des Ehepaars auf dem Weg in eine andere Welt bewahren.