Irrfahrt im Anus horribilis
In der ideen- und geistreichen Regie von Landestheater-Debütant Rudolf Frey wird Wolfram Lotz’ Hörspiel „Die lächerliche Finsternis“ zum virtuosen Theater-Wahnsinn.
Von Christiane Fasching
Innsbruck –„Lotz. Lotz. Lotz. Hörspiel. Finsternis. Francis Ford. Conrad. Apokalypse. Herz. Lotz. Lotz. Lotz.“ Die Ouvertüre von Wolfram Lotz’ dramatischem Text-Ungetüm „Die lächerliche Finsternis“ gleicht einem orkanartigen Stimmgewitter, bei dem sich alle Zuschreibungen aufzufressen scheinen und man beim besten Willen nicht jedes Wort versteht. Und so schnell wird sich das an diesem Abend auch nicht ändern.
Mit virtuoser Verve braust der verbale Tsunami über die Kammerspiel-Bühne, auf der an einer langen Tafel ein eigentümlicher Dresscode angesagt ist: Lack trifft auf Pailletten, Leder auf Leoprint und ein Frauen-Quintett auf Party-Mucke. Und das soll das Hamburger Landgericht sein? Komisch ...
Noch komischer: Die grazile Blondine im Leokleidchen (Marion Fuhs) stellt sich im Vorspiel als Ultimo Michael Pussi und politisch unkorrekt als „schwarzer Neger aus Somalia“ vor. „Der Einfachheit halber spreche ich Deutsch mit ihnen“, sagt er. Oder sie. Und setzt zu einer flammenden, teils gerappten Selbstverteidigungsrede an. Den Vorwurf, das deutsche Frachtschiff MS Taipan geentert zu haben, will Ultimo zwar nicht gänzlich vom Tisch wischen – aber wie soll man als Fischer überleben, wenn die See leergefischt ist und auf dem Meeresgrund nur noch Wut auf den Kolonialismus tümpelt? Genau: Man lässt sich zum Piraten umschulen. Mit Diplom. Was die Hochschule von Mogadischu nicht alles für Kurse anbietet. Und wäre dieser Frachter nicht Ultimos Schiff namens Hoffnung in die Quere gekommen, wer weiß – vielleicht hätten er und sein Freund Tofdau einen anderen Weg eingeschlagen. Und eine andere Geschichte zu erzählen. Eine, die nicht mit Tofdaus Tod endet.
Doch jetzt ist es, wie es ist. Oder hätte sein können. „Die lächerliche Finsternis“, vom Hamburger Dramatiker Wolfram Lotz als Hörspieltext konzipiert und seit seiner Uraufführung am Wiener Akademietheater als waghalsige Spielwiese gefeiert, zeigt sich nämlich als Quell der (Un-)Möglichkeiten des Theaters. Den Freibrief dazu gibt Lotz selbst: Streichungen, Transformationen, Erweiterungen erlaubt er nicht nur, er rät sogar zu ihnen. Und diesen Rat nimmt Landestheater-Debütant Rudolf Frey in seiner ideenreichen Regie mutig an: Seine „Finsternis“ ist ein kunstvoll durchgetaktetes Spiel mit der Wirklichkeit, eine packende Choreographie der Absurditäten, die von Aurel Lenfert zunächst in ein nüchternes Setting gerückt wird, in dem zusehends Wahnsinn und Ekstase regieren, plötzlich alle im Regen stehen und hinter einer Plastikplane „The End“ heraufbeschworen wird. Zuvor begeben sich Hauptfeldwebel Pellner (Elke Hartmann) und Unteroffizier Dorsch (Yael Hahn) in die nicht existierenden Regenwälder Afghanistans und erklären den Hindukusch zum wilden Strom, auf dem sie etwa dem nach Internet gierenden Kommandeur Lodetti und einem Reverend mit Elvis-Hüftschwung (Antje Weiser) begegnen. Ihr Ziel: Sie müssen Oberstleutnant Deutinger (Janine Wegener) liquidieren, dem der Wahn den Sinn vernebelte. Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ lässt genauso grüßen wie Francis Ford Coppolas Antikriegsfilm „Apocalypse Now“ – zum Horror des Krieges gesellt sich aber auch beklemmende Komik. Etwa dann, wenn der irre Deutinger im rosa Tüllkleid und mit entrücktem Blick in die leere Ferne stiert, während er sich als Todesengel outet.
Freys Idee, alle Rollen mit Frauen zu besetzen, ist zwar nicht neu, aber gut. Die Ensemble-Leistung ist fulminant: Marion Fuhs, Elke Hartmann, Yael Hahn, Antje Weiser und Janine Wegener spielen sich mit fesselnder Körperlichkeit in Rage und um den Verstand – zwischendurch auch als Papagei oder als in den eigenen Anus navigierendes Kriegswrack. Sie sind und können alles sein. Wie das Theater in seinen besten Momenten.