Kunst

Wassermann: „Nächstenliebe ist inzwischen strafbar“

© Thomas Boehm / TT

Franz Wassermann ist mit seiner Arbeit zum Thema Migration wieder in Tirol angekommen. Ein Gespräch über Wendepunkte und Neustarts.

Innsbruck — 2001 beschäftigte sich Franz Wassermann schon einmal mit dem Thema Migration. Seine Aktion „Schubhaft", in deren Rahmen er den Innenhof des Taxispalais besetzte, löste eine hitzige Debatte über die Vereinnahmung von Kunsträumen durch Künstler aus. Das Projekt machte Wassermann — nach eigener Aussage — zur „persona non grata" in Tirols Kunstszene. Auch darum wollte er sich Migration eigentlich nicht mehr widmen. Bislang jedenfalls. Im Rahmen des derzeit im Ferdinandeum stattfindenden Forum Migration projiziert Wassermann heute ab 16 Uhr seine Videoarbeit „Suum cuique: Jedem das Seine" an die Außenwand des Landesmuseums und gibt so den beteiligten Migranten eine Stimme, die bis in den öffentlichen Raum vordringt. Geflüchtete erzählen nur über ihre Augen ihre persönliche Geschichte. Sie werden individualisierbar und sind durch den begrenzten Bildausschnitt geschützt vor Vorurteilen und Anfeindungen. Die TT traf Wassermann zum Gespräch.

Stimmt es, dass es erste Berührungspunkte mit dem Thema Migration bereits vor Ihrer Arbeit als Künstler gab?

Franz Wassermann: Da ich bis Anfang 30 Sozialarbeiter war, konnte ich erste Erfahrungen bereits bei meiner Arbeit im mobilen Hilfsdienst sammeln. Aus diesem Grund gehe ich an Themen wie Migration auch anders ran. Für mein Dasein als Künstler war schließlich eine Sommerakademie mit Nancy Spero und Leon Golub ein Wendepunkt. Damals definierte ich mich noch als Maler, der aber kein Bedürfnis hatte, sich Farben zu besorgen: Ich war innerlich also schon auf dem Weg zum Bildhauer. Meine ersten konzeptuellen Arbeiten fand Nancy Spero spannend, aber als sie herausfand, dass ich Sozialarbeiter war, fragte sie mich, wo man das in meiner Arbeit sehe. Erst dann wurde mir bewusst, dass ich meine Geschichte außen vor ließ. Das tue ich heute nicht mehr.

Wie kam es zum aktuellen Projekt „Suum cuique"?

Wassermann: Das entstandgemeinsam mit dem Verein FLUCHTpunkt, Mitwirkende waren illegalisierte oder abgeschobene Personen. Alle sind sozusagen im Schwebezustand ohne Gewissheit, wie es weitergeht. Diese Menschen befragte ich zu ihrer Flucht, zu schlimmsten, aber auch schönsten Momenten im Leben. Im Clip wird schließlich lediglich über die Augen kommuniziert, was auch eine Art Schutz bietet. Daraus entsteht ein Spiel zwischen Anonymität und Individualisierung, zwischen Kollektiv und Individuum. Und ein Gespräch auf Augenhöhe.

Das erinnert natürlich an die umstrittene „Schubhaft", ein Projekt, das Sie 2001 in der damaligen Galerie im Taxispalais realisiert haben.

Wassermann: Das Ferdinandeum kam auf mich zu, weil sie „Schubhaft" kannten. 2001 war Migration immerhin noch ein Randthema. Heute wird nur noch über dieses Thema Politik gemacht.

Die eintägige Besetzung der Galerie sorgte auch szene¬intern für Unmut. War das ein Wendepunkt für Sie?

Wassermann: Es war sicher ein einschneidendes Erlebnis für mich. Gäbe es das Forum Migration nicht, würde ich mich an das Thema Flüchtlinge nicht mehr heranwagen. Die Besetzung der Taxisgalerie war 2001 aber ein wichtiger Akt, weil ich meiner Meinung nach im Kunstraum — anders als im öffentlichen — frei agieren darf. Damals wollte ich Betroffenen den Kunstraum als Schutzzone zur Verfügung stellen. Konkret den Innenhof, weil ich die Nähe zum Landhaus als passendes Umfeld für die Konfrontation empfand. Daraus wurde schließlich eine Besetzung, die mitten ins Wespennest traf. Leider ohne nachfolgende Diskussion.

Was hat sich in Bezug auf das Thema von 2001 bis jetzt verändert?

Wassermann: Eine massive Veränderung, die ich feststelle: Nächstenliebe ist inzwischen strafbar. Wir brachten 2001 Menschen noch in einem geweihten Wohnmobil über die Grenze: Verlangte man kein Geld, war man kein Schlepper. Wenn man heute Nächstenliebe ausleben möchte, wird man dafür belangt. Das ist auch rein sprachlich interessant, gerade christliche Werte, welche in der rechten Szene so oft verwendet werden, entpuppen sich als nicht rechtskonform.

Auch im aktuellen Titel spielen Sie mit Doppeldeutigkeit.

Wassermann: Genau, hier sehen wir eine ähnliche Verschiebung: „Suum cuique" heißt „Jedem das Seine" und steht für das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit, worauf sich auch das Römische Recht bezieht. Gleichzeitig wurde die Aussage in der Nazizeit allerdings pervertiert, indem als Schriftzug für den Eingang vom KZ Buchenwald verwendet wurde. Damit stelle ich also auch die Frage: Welcher Tradition wollen wir folgen? Welche Geschichte möchten wir fortschreiben?

Die Geschichte tritt in Ihren Arbeiten öfters auf. Erst letztes Jahr sind Sie im Rahmen eines Projekts mit Fahnen und eindeutiger Nazisymbolik in Innsbruck aufmarschiert. Pure Provokation?

Wassermann: Provokation ist in meinen Arbeiten kein unmittelbares Element. Natürlich wird der Aufmarsch mit einer solchen Symbolik provokativ und auch plakativ wahrgenommen. Und ist auch klar so gewählt, denn erst durch die Überzeichnung wird die Gewalt sichtbar gemacht, die sich versteckt — hinter dem Kapital, welches alles legitimiert, hinter der Politik, welche die Grundlage für eine Unterwanderung der Demokratie schafft.

Wie wirkt Geschichte bis heute weiter?

Wassermann: Etwa in der Stilisierung von Menschen zu Objekten, wie im gegenwärtigen Diskurs. Menschen können sich somit emotional distanzieren vom Thema. Eine Anschauungsweise, die ich im aktuellen Projekt umzukehren versuche: Menschen müssen wieder als Menschen wahrgenommen werden.

Das Gespräch führte Barbara Unterthurner