Murakamis neuer Roman: Oper und Malerei, Wien 1938 und Japan heute
Wien (APA) - In Japan hatte „Die Ermordung des Commendatore“ von Haruki Murakami im Vorjahr für Rekordauflagen gesorgt. Auch in Österreich d...
Wien (APA) - In Japan hatte „Die Ermordung des Commendatore“ von Haruki Murakami im Vorjahr für Rekordauflagen gesorgt. Auch in Österreich dürfte der zweiteilige Roman, dessen erster Band „Eine Idee erscheint“ ab Montag auf Deutsch erhältlich ist, auf großes Interesse stoßen. Denn nicht nur die Musik von Mozart, Strauss und Schubert ist stets präsent, die Geschichte führt auch zurück ins Wien des Jahres 1938.
Der Titel führt Opernkenner sofort auf die richtige Fährte: Es geht um Mozarts „Don Giovanni“, um die Ermordung des Komtur durch den skrupellosen Titelhelden, der später durch die Rache seines Opfers zur Hölle fährt. Diese Schlüsselszene findet Murakamis Hauptfigur, ein jüngerer Maler in Lebens- und Schaffenskrise, auf einem faszinierenden Gemälde wiedergegeben, das er eines Tages auf dem Dachboden eines von ihm vorübergehend bewohnten einsamen Hauses entdeckt.
Im Verlauf der raffinierten Mischung aus Künstlerroman und Gespenstergeschichte wird allmählich klar, dass es auch eine andere Interpretationsmöglichkeit des Bildmotivs gibt. Der Schöpfer des Gemäldes, ein nach dem Zweiten Weltkrieg berühmt gewordener Hauptvertreter der „Nihonga-Malerei“, mit der sich Nippon von westlichen Kunsttraditionen wieder löste und sein Selbstbewusstsein als eigenständige Kulturnation erneuerte, hatte in den 1930er-Jahren in Wien studiert, den „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland miterlebt, und war offenbar in von den Nazis rechtzeitig aufgedeckte Attentatspläne auf einen hohen NS-Funktionär verwickelt.
Im Haus dieses alten, mittlerweile dementen und in einem Heim lebenden Meisters, versucht der Protagonist zur Ruhe zu kommen, nachdem er völlig überraschend von seiner Frau verlassen wurde. Neben einer reichen Plattensammlung, die dafür sorgt, das die Handlung häufig von klassischer Musik mit Wien-Bezug untermalt wird, und einem Atelier (das wohl nicht nur „fünf Quadratmeter groß“ ist, der einzige Schnitzer in der ansonsten tadellosen Übersetzung von Ursula Gräfe) verfügt das Haus aber auch über einen verfallenen Gartentempel mit einer leeren unterirdischen Steinkammer, aus der mitunter nachts Musik erklingt. Murakami wird auch diesmal seinem Ruf des magischen Realisten gerecht. Nur so viel: Der Titel des ersten Bandes wird auf unerwartete Weise eingelöst.
Vor allem ist der Roman aber auch die Konfrontation zweier einsamer Männer, die zum Ausgangpunkt ausführlicher Überlegungen über das Wesen der Kunst, vor allem aber über die Kunst der Porträtmalerei wird. Ein geheimnisvoller reicher Geschäftsmann bewohnt nämlich eine Villa auf der anderen Seite des abgelegenen Tales und stellt sich beim Maler als sehr gut zahlender Auftraggeber eines Porträts ein. Daraus entwickelt sich eine Freundschaft und ein überraschender Folgeauftrag, der einen neuen Handlungsstrang eröffnet und bald ein blutjunges und gar nicht so scheues Mädchen Modell sitzen lässt.
Murakami gelingt es hervorragend, die Spannung langsam zu steigern. Die Spuren führen ins Wien des Jahres 1938 und in Konzentrationslager, in dem Talent zur Porträtmalerei für Gefangene lebensrettend sein konnte, da noch die brutalsten SS-Männer bei Abbildern ihrer Angehörigen sentimental wurden. Wer „Die Ermordung des Commendatore I - Eine Idee tritt auf“ gelesen hat, wird sich den 16. April rot in seinen Kalender eintragen. Da erscheint Band zwei auf Deutsch. Vieldeutiger Titel: „Eine Metapher wandelt sich“.
(S E R V I C E - Haruki Murakami: „Die Ermordung des Commendatore I - Eine Idee erscheint“, Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, DuMont Verlag, 480 S., 26,80 Euro)