Finanzmärkte in Panik: Was steckt hinter dem jüngsten Kurssturz?
Nach dem höchsten Kursverfall binnen eines Tages in der Geschichte sind Anleger in Panik. Einen Grund dafür auszumachen ist jedoch nicht leicht, auch weil die Märkte großteils automatisiert gesteuert sind. Jedenfalls stellt der Crash US-Präsident Donald Trump vor ein Dilemma. Dieser hatte sich bislang mit den Lorbeeren der steigenden Kurse geschmückt.
New York/Washington – Ausnahmezustand an der Wall Street: Am „dunkelgrauen“ Montag erlebt die US-Börse einen handfesten Aktien-Crash. Für Präsident Trump, der die bisherigen Rekordhochs stets als sein persönliches Verdienst verkaufte, droht eine bittere Lektion: Die Kurse können auch fallen.
Die Börse zählt zu den Lieblingsthemen von Donald Trump – kein Wunder, seine Präsidentschaft war bisher von steten Kursanstiegen begleitet. „Der Aktienmarkt hat einen Rekord nach dem anderen geknackt“, stolz zog er jüngst eine Zwischenbilanz seiner Amtszeit. Sein erstes Jahr habe acht Billionen an Börsenwert geschaffen, von dem alle Amerikaner profitierten. Immer wieder lobte Trump die Entwicklung der Wirtschaft und verknüpfte sie mit seiner eigenen Arbeit – trotz Mahnens der Experten, dass sich der Einfluss von Regierungsarbeit in der Wirtschaft erst langfristig zeige, und die steigenden Kurse großteils nicht auf Trump zurückzuführen seien.
Am Montag dann jedoch das böse Erwachen: Der US-Aktienmarkt stürzt ab und zieht die internationalen Börsen mit nach unten. Trump stürzt das seiner eigenen Argumentation folgend in Erklärungsnöte. Denn wenn er für die steigenden Kurse verantwortlich sein will – muss er es dann nicht auch für deren Absturz sein?
Größter Absturz binnen eines Tages in der Geschichte
Drei Uhr nachmittags Ortszeit, New York, es herrscht Ausnahmezustand an der Wall Street. Der US-Leitindex Dow Jones büßt innerhalb von 15 Minuten mehr als 800 Punkte ein. In der Spitze verliert er am Montag fast 1.600 Punkte – soviel wie nie zuvor an einem Tag. Am Ende geht es glimpflicher aus, der Dow schließt mit rund 1.100 Punkten im Minus, was einem Rückgang um 4,6 Prozent entspricht. Zuletzt waren US-Aktien 2011 so stark unter Druck geraten. „Das, was heute passiert, darf als Crash bezeichnet werden“, sagt Experte Thomas Altmann vom Investmenthaus QC Partners.
Händler und Analysten tun sich zunächst schwer, die genauen Gründe für den Absturz zu benennen. „Viele Anleger sind in regelrechte Panik verfallen“, meint Altmann. Es handle sich um eine Flucht aus Aktien. „Grund ist ein Mix aus zuvor überteuerten Kursen in den USA, einer zu großen Euphorie und plötzlich steigenden Zinsen“, sagt Daniel Saurenz vom Analysehaus Feingold Research. In Anlehnung an den „Black Monday“ genannten Börsen-Crash von 1987 – damals war der Dow um 23 Prozent abgeschmiert – spricht Saurenz von einem „dunkelgrauen Montag“.
Bereits am Freitag hatte der US-Arbeitsmarktbericht die Stimmung der Anleger kippen lassen. Das trotz boomender Wirtschaft bisher verhaltene Lohnwachstum fiel stärker als erwartet aus, was einerseits schön für die Amerikaner ist, andererseits aber die Inflation in Gang bringen könnte. Das würde die Notenbank zwingen, die Leitzinsen schneller als bisher geplant zu erhöhen, um die Preissteigerung zu dämpfen. Steigende Zinsen wiederum gefallen Investoren nicht – sie verteuern Geld und Kredite und hemmen so das Wachstum.
Börsenmarkt längst großteils von Computern gesteuert
Doch taugt diese „Zinsangst“ allein als Erklärung für den Absturz? „Natürlich werden bei diesem Kollaps wieder viele Fragen zum automatisierten Handel aufgeworfen“, sagt Craig Erlam vom Online-Broker Oanda. Ein Großteil der Finanzmärkte ist inzwischen durch Computer-Programme gesteuert und quasi auf Autopilot. Werden bestimmte Kursmarken durchbrochen, werfen die „Algo-Trader“ weitere Papiere auf den Markt und verstärken so den Kursverfall. Das „Flash Crash“ genannte Phänomen sieht Erlam auch diesmal am Werk.
Ist die Korrektur mit dem Kurssturz abgeschlossen? Die Finanzprofis halten sich bedeckt. „Die ‚Risk-Off‘-Stimmung könnte anhalten“, sagt Win Thin vom Geldhaus Brown Brothers Harriman. Fest steht: Präsident Trump würde die Angeberei über „seinen“ Aktien-Aufschwung dann schmerzhaft auf die Füße fallen. Denn er hat die steigenden Aktien bisher stets voll und ganz als sein eigenes Werk und als Gradmesser für seine politische Leistung verkauft. Die Börsenkurse seien seine eigentlichen Meinungsumfragen, argumentierte er, der sich gerne als Macher der Wirtschaft, als Antreiber und Wegbereiter sehen würde.
Trumps eigene Argumentation wird zum Bumerang
Tatsächlich konnte jeder, der unter Wirtschaft nicht nur die Eckkneipe nebenan versteht, sich an drei Fingern abzählen: Ein Präsident, der ein Jahr im Amt ist, kann solche Ausschläge nicht bewirkt haben. Eine Steuerreform, die erst ein paar Wochen alt ist, kann die Werte der US-Unternehmen nicht wie von Zauberhand um acht Billionen Dollar (6,43 Billionen Euro) steigern. Dass Trump die Kursrally als persönliches Verdienst ansieht, könnte nun zum Bumerang werden. „Wenn Du den Anstieg für Dich reklamierst, gehört Dir auch der Fall“, schrieb Barack Obamas Berater Jay Carney am Montag auf Twitter.
Zudem sei der Aktienmarkt ohnehin nicht mit dem Zustand der Wirtschaft gleichzusetzen. Deshalb sei in der vorigen Regierung auch nie mit den Aktienmärkten geprahlt worden, so Carney. Doch auch die Töne aus dem Weißen Haus fielen am Montag plötzlich ungewohnt sachlich aus. Der Fokus liege auf den langfristigen wirtschaftlichen Fundamentaldaten, die weiterhin „außergewöhnlich stark“ seien, sagte Sprecherin Sarah Sanders. Auch Trump selbst verkniff sich Verbalgetöse, wie stark seine Politik auf die Finanzmärkte eingewirkt habe, diesmal weitgehend. Bei einer Rede in Ohio sprach der Präsident nur noch über Steuern und ließ Anhänger aufsagen, was sie alles mit den Ersparnissen, die er ihnen gebracht habe, anstellen wollen.
Möglicherweise ist Trump sogar mehr für die Kurskorrektur an den Börsen, als für ihren Anstieg verantwortlich. Ein Grund für die Angst vor höherer Inflation und schnell steigenden Zinsen ist seine Steuerreform, die die Wirtschaft in Zeiten von Vollbeschäftigung und brummender Konjunktur noch weiter befeuern soll. Und erst jüngst hatte Trump auf einen starken Dollar gepocht. Auch dies müsste wohl durch steigende Zinsen eingelöst werden. Das könnte vor allem für Jerome Powell, Trumps neuen Mann an der Spitze der US-Notenbank, zur Herausforderung werden. Am Montag übernahm er den Job von der als extrem vorsichtig geltenden Janet Yellen. „So dürfte er sich seinen Amtsantritt nicht vorgestellt haben“, sagt Experte Erlam. (mats/tt.com/APA/dpa)
Fragen und Antworten: Das bedeutet der Kurssturz
Warum flüchten Anleger aus Aktien?
Die Sorge geht um, dass die Zinsen schneller steigen könnten als erwartet. Die Geldschwemme und Niedrigzinsen der großen Notenbanken halten die Anleger seit Jahren bei Laune, während traditionelle Sparer darunter leiden. Investoren müssen das viele Geld jedoch auch irgendwo anlegen. Da die Zinsen im Keller sind, herrscht Anlagenotstand. Investoren setzen daher verstärkt auf Aktien. Steigende Zinsen machen Anleihen von Staaten und Unternehmen gegenüber Aktien dagegen attraktiver. Zudem können steigende Zinsen die Konjunkturentwicklung dämpfen. „Es gab keinen Anlass, aber viele Ursachen. Zu stark steigende Zinsen wären nicht gut für Börse und Konjunktur“, erläutert Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
Welche Politik verfolgen große Notenbanken?
Die US-Notenbank Fed erhöht schrittweise seit geraumer Zeit die Zinsen. Mit weiteren Schritten unter dem neuen Notenbankchef Jerome Powell wird in diesem Jahr gerechnet. Investoren befürchten aber, dass die Konjunktur der weltgrößten Volkswirtschaft – auch befeuert durch die milliardenschwere Steuerreform von US-Präsident Donald Trump - heiß laufen könnte. Die Folge: Die Inflation könnte schneller und heftiger steigen als erwartet. Das würde die Fed zwingen, die Leitzinsen schneller als bisher geplant zu erhöhen, um die Preissteigerung zu dämpfen. Expertin Thu Lan Nguyen von der Commerzbank weist darauf hin, dass der jüngste Arbeitsmarktbericht der US-Regierung einen überraschend starken Lohnanstieg ausweist.
Steht eine baldige Zinswende auch im Euroraum an?
Das ist unwahrscheinlich. EZB-Präsident Mario Draghi dämpfte jüngst Hoffnungen von Sparern auf bald höhere Zinsen. „Auf Basis der heutigen Daten und Analysen sehe ich sehr wenig Chancen, dass die Zinsen in diesem Jahr steigen könnten“, sagte er nach der jüngsten Sitzung des EZB-Rates Ende Jänner. Denn obwohl die Wirtschaft im Euroraum inzwischen robust wächst, hinkt die Inflation hinterher. Im Jänner waren die Verbraucherpreise im gemeinsamen Währungsraum um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt mittelfristig eine Teuerung von knapp zwei Prozent an. Erst dann sieht die Notenbank die Preisstabilität als gewährleistet an.
Wie geht es nun weiter?
Beobachter rechnen vorerst nicht mit einem lang anhaltenden Absturz an den Börsen. „Korrektur ja, Crash und Bärenmarkt nein“, ist Ökonom Kater zuversichtlich. „Die Korrektur muss morgen nicht gleich wieder vorbei sein, sie wird aber wieder Käufer anlocken, die vorher aus dem Markt ausgestiegen waren.“ Experten der Berenberg Bank sehen die Finanzmärkte auf dem Weg zur Normalisierung. Der Kurseinbruch sei bisher nicht mehr als eine Korrektur nach der Übertreibung der letzten Monate: „Der Anstieg der Anleiherenditen spiegelt eine Rückkehr zur Normalität bei Wirtschaftswachstum und Inflation wider.“