Trash als Wille und Vorstellung
James Franco feiert in seiner Hollywood-Satire „The Disaster Artist“ den Regisseur Tommy Wiseau, der 2003 den schlechtesten Film aller Zeiten drehte.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Jahrzehntelang konnte sich Orson Welles’ „Citizen Kane“ (1941) in der Liste der besten Filme aller Zeiten an der Spitze halten, bis der Film vor einigen Jahren von Alfred Hitchcocks „Vertigo“ (1958) abgelöst wurde. Mit der Idee, diese Meisterwerke zu übertrumpfen, beginnt so manches Filmprojekt, im Tagtraum nimmt der Regisseur einen Oscar entgegen, das Publikum erhebt sich ergriffen. Dann kommt dieser schreckliche Moment der Wahrheit, der das schwarze Loch zwischen Kino und Leben sichtbar werden lässt. Die Beteiligten fragen sich, welche Zonen im Gehirn versagt haben. Ed Wood beispielsweise sah sich bereits als Nachfolger von Orson Welles. Als 1959 sein Film „Plan 9 From Outer Space“ in die Kinos kam, wurde das Horrorspektakel zum Lacherfolg und schließlich „zum schlechtesten Film aller Zeiten“, dem Tim Burton 1995 mit „Ed Wood“ und Johnny Depp eine anrührende Hommage widmete. Seither sind „schlechteste Filme“ zu einer eigenen Trash-Disziplin geworden, wenn schlechter Geschmack und Unfähigkeit auf die Spitze getrieben werden.
Seit 2003 gibt es mit Tommy Wiseaus „The Room“ den „größten jemals hergestellten schlechten Film“, der angeblich in Los Angeles von einem begeisterten Publikum in Mitternachtsvorstellungen gefeiert wird. Von der Produktion dieses Films erzählt James Franco in seiner Hollywood-Satire „The Disaster Artist“.
Von den Verheißungen der Traumfabrik wie von einem Magneten angezogen übersiedeln Tommy Wiseau (James Franco) und Greg Sestero (Dave Franco) 1998 von San Francisco nach Los Angeles. Die beiden Freunde, die nichts weiter als die Verehrung für die Kino-Ikone James Dean verbindet, sehen sich schon nach wenigen Tagen mit einer gleichermaßen unglamourösen wie brutalen Wirklichkeit konfrontiert.
Mit seinem osteuropäischen Akzent, den er leugnet, und seinem bizarren Äußeren empfiehlt sich Wiseau bei Castings bestenfalls als Kleindarsteller für Gangsterfilme, aber der seltsame Mann will der Gute, der All-American-Guy sein. Mit seinem gefälligen Auftreten könnte schon eher Greg für diesen Typ in Frage kommen, aber Hollywood ist voll davon. „Werfen Sie einen Stein, und Sie treffen einen!“, sagt ein Regisseur in der Hollywoodkomödie „Barton Fink“ der Brüder Coen. Ohne Scham rezitiert Wiseau in einem Restaurant auf haarsträubende Weise Shakespeares „Sein oder Nichtsein“-Monolog für einen von Judd Apatow gespielten Produzenten, der ihm prophezeit, auch in einer Million Jahren keine Rolle zu bekommen. „Und dann?“, erkundigt sich Wiseau. „Später auch nicht!“, sagt Apatow. Da Wiseau über Geduld und beträchtliche Mittel verfügt, dreht er eben seinen eigenen Film „The Room“: Produktion, Regie, Drehbuch und Hauptrolle: Wiseau.
Während Wiseau die Besetzung seines Films aus den kreativen Elendsvierteln Hollywoods rekrutierte, kann James Franco bei seiner Nachstellung auf die Mitarbeit der aktuellen Superstars zählen. Ziemlich schnell wird dem Scriptsupervisor Sandy (Seth Rogen) angesichts der Arbeitsweise klar: Wiseau kann noch nie einen Film gesehen haben. Damit stellen sich neben der Herkunft von Regisseur und Geld einige Fragen, die auch Franco nicht beantworten kann oder will. Alle finden das Drehbuch, das über keinen Inhalt verfügt, wunderbar und machen sich auf diese Weise zu Komplizen des schlechten Geschmacks. Darstellerinnen, die von Wiseau schikaniert werden, deuten die verletzenden Übergriffe als professionelle Kompetenz, die auch bei Hitchcock und Kubrick toleriert worden ist. Besonders diesen entlarvenden Szenen widmet sich James Franco mit geradezu exhibitionistischer Leidenschaft. Alle machen mit und am Ende lachen alle, aus der Tragödie ist eine schrille Komödie geworden. Für eine kleine Rolle in „The Disaster Artist“ verkaufte Tommy Wiseau seine Persönlichkeitsrechte. 15 Jahre nach seiner Katastrophe mit „The Room“ ist auch er ein Hollywood-Star geworden. Orson Welles wurde 15 Jahre nach „Citizen Kane“ in Hollywood zur Unperson erklärt.