Zeyringer im Interview: „Es geht nur ums Geschäft“
Zum Start der Olympischen Spiele legt Klaus Zeyringer eine Kulturgeschichte der winterlichen Wettkämpfe vor. Im Gespräch mit der TT erklärt er, warum die Zeiten olympischer Wintermärchen endgültig vorbei sind.
Sie beenden Ihre Kulturgeschichte der Olympischen Winterspiele mit einer trockenen Feststellung: „Die Zeiten der olympischen Wintermärchen sind endgültig vorbei." Sonderlich märchenhaft lesen sich allerdings auch Ihre Schilderungen der bisherigen Spiele seit Chamonix 1924 nicht.
Klaus Zeyringer: Es gab durchaus Spiele, die nicht nur als Märchen vorgestellt und beworben wurden, sondern auch als solche wahrgenommen wurden: Die Olympischen Spiele in Squaw Valley 1960 zum Beispiel, wo auch kritische Berichterstatter die Stimmung und die kurzen Wege lobten. Obwohl man gerade den Amerikanern die Ausrichtung der Spiele kaum zugetraut hat. Doch spätestens mit Grenoble 1968 ist es nicht mehr möglich, von Märchen zu sprechen. Seither geht es schlicht und ergreifend um wirtschaftliche und politische Interessen.
Zwischen Squaw Valley und Grenoble fanden 1964 die ersten Innsbrucker Spiele statt — erstmals mit Coca-Cola als Sponsor. Der Anfang der offensichtlichen Kommerzialisierung?
Zeyringer: Schon seit den Spielen in Cortina 1956 gab es beim IOC Überlegungen, die Medienrechte an Olympia zu lukrieren. 1960 wurden erstmals TV-Lizenzen verkauft, was die Wettbewerbe auch für die Werbung interessant machte: Mit dem Fernsehen kam der Kommerz in Gestalt der Konzerne und mit den Konzernen kam die Korruption. Seither hat das IOC seine Meisterschaft im Fassadenschwindel perfektioniert: Sie beschwören Wintermärchen, den olympischen Traum und den Geist der Spiele, aber hinter den Fassaden geht es nur ums Geschäft.
Die Beziehung zwischen Olympia und dem Tourismus ist allerdings viel älter.
Zeyringer: Dass es Olympische Winterspiele gibt, steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des Wintertourismus, deshalb beginnt mein Buch mit Hemingway und dessen Aufenthalten in Vorarlberg: In den 20er-Jahren nahm die touristische Erschließung der Alpen Fahrt auf, als winterliche Alternative für gutbetuchte Aristokraten, aber auch urbane Kulturbürger. Schon bei der ersten „Wintersportwoche" in Chamonix, die nachträglich zu den ersten Olympischen Winterspielen erklärt wurden, gab es ein Tourismuskonzept — und der Effekt, den die Spiele hatten, wurde nachträglich untersucht. Aber inzwischen spielt der Tourismus ganz offensichtlich eine untergeordnete Rolle: Niemand dürfte seine Winterferien in Peking, wo die Spiele 2022 stattfinden werden, verbringen wollen. Und auch Turin oder — ganz nebenbei bemerkt — Graz, wo gerade olympische Pläne gemacht werden, sind keine Wintersportorte.
Im Fall von Peking geht es um die Erschließung neuer Märkte. Politische Bedenken werden dabei überhört.
Zeyringer: Sport und Politik gehören immer zusammen. Auf der vermeintlichen Trennung von Sport und Politik wird immer dann wortreich beharrt, wenn es strategisch passt. Wenn ÖSV-Präsident Peter Schröcknadel sich in Sotchi 2014 politische Aussagen der Athleten verbat, weil Sport Sport und Politik Politik sei, ging es darum, es sich nicht Vladimir Putin nicht zu verscherzen. Gerade Olympia war immer politisch: Bei der Gründung des IOC 1894 wollte Pierre de Coubertin Deutschland nicht dabeihaben, weil er die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 nicht verwinden konnte. Dass Hitler die Sommer- und die Winterspiele 1936 zur Propaganda nützte, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass Franklin D. Roosevelt als Gouverneur von New York seine letztlich erfolgreiche Präsidentschaftskampagne bei den Spielen 1932 in Lake Placid lancierte.
Die heute startenden Spiele in Pyeongchang nützte Nordkoreas Diktator für eine regelrechte Charme-Offensive.
Zeyringer: Wie alle Diktatoren hat auch er erkannt, dass Olympia, dass ja für positive Werte steht, positive Bilder liefern kann.
Gerade in Österreich beruft sich das nationale Selbstbewusstsein auf erfolgreiche Olympioniken. Sie sprechen von „Nation Building im Schnee".
Zeyringer: Das offizielle Österreich definiert sich als Sport- oder, genauer gesagt, als Ski-Nation. Die großen Helden Nachkriegsösterreich sind Sailer, Schranz und Klammer. Das geht so weit, dass bei der Verleihung der Österreichischen Kunstpreise zwischen den Kategorien Bildende Kunst und Literatur der Zwischenstand des Nachtslaloms in Schladming verkündet wird. Es gibt kein Land, wo die Verbindungen zwischen Sport, Medien und Politik so eng sind wie in Österreich: Die auflagenstärkste Zeitung sponsert den Skiverband, der öffentlich-rechtliche ORF jubelt mit — und Bundesminister stehen Schlange, wenn es gilt, in Kitzbühel noch den kleinsten Pokal zu überreichen. Dass in dieser Gemengelage Kritik kaum einen Platz findet, steht außer Frage.
Das Gespräch führte Joachim Leitner