Nur ein Kraft-Akt kann den nächsten Absturz verhindern
Den österreichischen Adlern droht nach verpatzter Vierschanzentournee und Skiflug-WM die erste Olympia-Nullnummer seit 2002. Hoffnungsträger Nummer eins: Stefan Kraft.
Von Christoph Gastinger
Pyeongchang – Österreichs Skispringer, das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, sind aus ÖSV-Sicht neben Kombinierern und Biathleten bislang die größte Enttäuschung des Olympiawinters. In der Vergangenheit stets verlässlicher Medaillenlieferant bei Großereignissen, drohen die heimischen Adler in Pyeongchang erstmals seit Salt Lake City 2002 leer auszugehen. Die bisherigen Saisonhöhepunkte Vierschanzentournee und Skiflug-WM in Oberstdorf verliefen höchst ernüchternd, man könnte sogar meinen fatal. Einzig Stefan Kraft sprang dreimal auf das Podest, das letzte Erfolgserlebnis aber liegt eine gefühlte Ewigkeit zurück. Es gelang Mitte Dezember mit Platz drei in Engelberg.
„Bis jetzt hat der Winter gar keinen Spaß gemacht“
Das Team rund um Cheftrainer Heinz Kuttin gibt seit Monaten Rätsel auf, den Vorwurf von Versäumnissen in der Vorbereitung wies man stets entschieden zurück. Das Filigrane des Skispringens erlaubt auch keinerlei schlüssige Erklärungen von außenstehenden Beobachtern, Kuttin und Co. üben sich vor der ersten Entscheidung am Samstag von der Normalschanze (13.35 Uhr, live TT.com-Ticker) also in Zweckoptimismus.
Kuttin sagt: „Wir haben überhaupt nichts zu verlieren, können nur viel wiedergutmachen.“ Der 47-Jährige wirkt gewillt, die Dinge doch noch zum Positiven zu verändern, doch die bisherige Seuchensaison hat Spuren hinterlassen. „Bis jetzt hat der Winter gar keinen Spaß gemacht“, gesteht Kuttin. Dabei sind Skispringen und Spaß eine unzertrennliche Kombination, sinnt man denn nach Erfolg. Fehlt der Spaß, dann fehlt auch die notwendige Lockerheit, und zwischen Zitterbalken und Auslauf setzt Verkrampfung ein. Verletzungen von Michael Hayböck und Gregor Schlierenzauer warfen nicht nur die beiden Betroffenen weit zurück, sie verpassten der gesamten Mannschaft einen argen Dämpfer. Im Skispringen, davon ist Kuttin überzeugt, sei das Wir-Gefühl stark ausgeprägt, obwohl, abgesehen vom Mannschaftsspringen, doch jeder seines eigenen Glückes Schmied ist.
Ein einziger Sieg eines ÖSV-Springers würde alle anderen schlagartig besser machen, das versichert der Kärntner. „Wenn du den Besten in den eigenen Reihen hast, dann wächst einfach jeder über sich hinaus, kommt ein ganz anderes Selbstwertgefühl zum Tragen.“ Als Beispiel nennt Kuttin die WM 2017 im finnischen Lahti. „Da hat der Stefan (Kraft, Anm.) im Einzel alles niedergerissen, so sind dann auch im Team zwei Medaillen dabei herausgekommen.“
Sprünge taten Kraft gut
Vieles, wahrscheinlich sogar alles hängt auch in Pyeongchang von Kraft ab. Das zeigte auch die Qualifikation. Beim Sieg von Andreas Wellinger (GER) konnte nur Kraft als Fünfter mithalten. Hayböck (26.), Fettner (27.) und Schlierenzauer (32.) landeten hinter ihren eigenen Ansprüchen. Und so verließ nur Kraft den Zielraum mit einem breiten Grinser. „Die Sprünge heute haben sehr gut getan. Ich bin auch froh, dass ich die ganzen Trainings gemacht habe, jetzt glaube ich, schaut es ganz gut aus“, sagte der 24-jährige Salzburger. Zu den ganz großen Favoriten zählt er sich trotzdem noch nicht. „Um eine Medaille will ich kämpfen, dafür bin ich da, das ist klar. Die Top-Favoriten sind andere.“ Kraft, der Doppelweltmeister und Gesamtweltcupsieger der Vorsaison, hadert und grübelt, nachdem er sich in der Saisonvorbereitung noch immens stark präsentiert hatte. Kuttin: „Wenn vorher immer der Einser aufleuchtet und dann nicht mehr, fängst du automatisch an, nachzudenken.“ Dass sein Musterschüler bei der Olympia-Generalprobe vor einem Jahr im Alpensia Jumping Park mit den Plätzen eins (Großschanze) und zwei (Normalschanze) seine Ambitionen unterstrich, diesem Umstand möchte Kuttin nicht viel Bedeutung beimessen.
Qualifikation Normalschanze - Ergebnisse
1. Andreas Wellinger (GER) 133,5 Punkte (103 m)
2. Kamil Stoch (POL) 131,7 (104)
3. Dawid Kubacki (POL) 129,6 (104,5)
4. Richard Freitag (GER) 129,1 (102)
5. Stefan Kraft (AUT) 128,6 (102,5)
6. Markus Eisenbichler (GER) 127,7 (102,5)
7. Karl Geiger (GER) 125,5 (102,0)
8. Daniel-Andre Tande (NOR) 123,0 (100,0)
9. Stefan Hula (POL) 122,7 (100,5)
10. Simon Ammann (SUI) 122,3 (102,0)
Weiter:
26. Michael Hayböck 112,4 (97) - 27. Manuel Fettner 109,4 (95) - 32. Gregor Schlierenzauer (alle AUT) 104,0 (91,5)