Ein Leben im Schatten der Geschichte
Mit „Maus“ bewies Art Spiegelman, dass Comics auch ernsten Themen gewachsen sind. Kommende Woche wird er 70.
New York –Art Spiegelman macht sich Sorgen. „Ständig bin ich beunruhigt“, sagte der vielleicht renommierteste Comic-Künstler der Gegenwart jüngst dem britischen Independent. „Das liegt in meiner Natur. Aber jetzt habe ich endlich etwas gefunden, worüber sich das Sorgen lohnt.“ Spiegelman meint US-Präsident Donald Trump. „Ich sehe da Ähnlichkeiten zu Hitler in der Weise, wie es sehr schnell zu Dingen kam, die mir surreal vorkommen.“ Er beobachtet in seinem Heimatland zudem ein „Abrutschen hin zur Grobheit“. Am kommenden Donnerstag, 15. Februar, wird Art Spiegelman 70 Jahre alt.
Der Nationalsozialismus und der Holocaust haben das Leben des Zeichners geprägt, obwohl er die Zeit des Nationalsozialismus nicht erlebte. Seine Eltern, zwei polnische Juden, haben Auschwitz überlebt, während ihr erster Sohn Rysio und der Großteil ihrer Angehörigen ermordet wurden. Spiegelman wurde 1948 in Stockholm geboren, während die Familie auf die Überfahrt in die Vereinigten Staaten wartete. Die Geschichte seiner Eltern hat ihn zum Mahner werden lassen. In den 80er-Jahren packte er seine Gedanken dazu in ein Comic: „Maus“. Ein Tabubruch: Nazis als Katzen, Juden als Mäuse. Darf man das? Darf man vom unfassbaren Schrecken der Shoah als Comic erzählen? „Ich bin Zeichner, also war es für mich die einzige Sprache, in der ich sprechen konnte“, antwortete Spiegelman. „Maus“ machte ihn weltbekannt. 1992 erhielt er als erster Comic-Autor den Pulitzer-Preis.
„‚Maus‘ hat Abstraktionen benutzt, um es real zu machen“, sagt Spiegelman. „Ich habe das Buch nicht gemacht, um die Welt zu verbessern. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass man die überhaupt besser machen könnte, denn es passieren doch immer wieder die gleichen grausamen Dinge, und so werden diese Erfahrungen auch immer wieder gemacht. Aber ich habe gehofft, dass, wenn man eine empathische Reaktion durch Kunst hat, dass es einem dann ermöglicht wird, die Erfahrung zu absorbieren.“
Die Erinnerungen der Vergangenheit blieben bei den Eltern immer präsent. Sie hingen über dem Familienleben. Schon als Heranwachsender flüchtete er sich in Comics, zeichnete und verkaufte erste Strips. Später kamen Drogen dazu. 1968 folgte ein Zusammenbruch, er wurde in eine Klinik eingewiesen. Im selben Jahr – kurz nach dem Tod des einzigen Bruders – beging seine Mutter Anja Selbstmord.
In der Kunst fand Spiegelman einen Weg, die Geschehnisse zu artikulieren. Den Tod seiner Mutter verarbeitete er in „Gefangener auf dem Höllenplaneten“. 1972 begann er die Erzählungen seines Vaters auf Tonband aufzunehmen. Erste „Maus“-Comics erschienen im Magazin Raw, 1986 kamen sie in Buchform heraus. Er hatte den Leidensweg seiner Eltern nachgezeichnet, in drastischer Metaphernsprache. Und bewies: Comics sind auch ernsthaften Themen gewachsen.
Anfang der 90er-Jahre begann Spiegelman für das Magazin New Yorker zu arbeiten, wo seine Ehefrau, die Französin Francoise Mouly, bis heute Art-Direktorin ist. Spiegelman entwarf viele Titelbilder, sein berühmtestes erschien wenige Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Ganz schwarz, die Twin Towers sind schemenhaft zu erkennen.
Die Terroranschläge erschütterten Spiegelman und Mouly. Tochter Nadja ging um die Ecke der Twin Towers zur Schule, am Morgen der Anschläge rannte das Paar dorthin, um sie abzuholen. Kurz danach stürzten die Türme ein. „Ich hatte Halluzinationen und konnte nicht arbeiten. Meine Nerven lagen blank“, erinnerte sich Spiegelman später an die Zeit danach. Aus den Erlebnissen entstand der Bildband „In the Shadow of no Towers“ (Im Schatten keiner Türme), der 2004 erschien.
Es war eines der bisher letzten größeren Projekte von Spiegelman. Danach gab es noch einige Nebenprojekte und eine Museumsretrospektive. Ansonsten lebt Spiegelman das Leben eines New Yorker Intellektuellen in einem Loft im Stadtteil SoHo. Tochter Nadja und Sohn Dashiell sind bereits ausgezogen. „Ich will nicht noch einmal 13 Jahre auf ein Buch verwenden“, sagte er jüngst. „Anscheinend habe ich dieses andere Buch nicht in mir.“ (jole, dpa)