“Wind River“: Archaische Bilder und Riten
Taylor Sheridan erzählt in seinem Drama „Wind River“ in der Wildnis von Wyoming von alten und aktuellen Verbrechen an den Ureinwohnern Amerikas.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Es gibt Filme, die, um es allen recht zu machen, kein Ende finden wollen. Taylor Sheridans „Wind River“ weigert sich auf der Suche nach einer Erzählperspektive und vielleicht auch aus Furcht vor dem Grauen, das auf uns zukommt, anzufangen.
Eine junge Frau rennt mit bereits erfrorenen Füßen über eine Winterlandschaft. Sie beginnt, Blut zu spucken, und irgendwann explodiert ihre Lunge von der gefrorenen Luft, die sie eingesaugt hat. Ein Mann erschießt einen Wolf, der eine Schafherde bedroht. Später setzt der Jäger seinen Sohn auf ein Pferd, das sich an den Zehnjährigen gewöhnen soll. Das Tier scheint den Buben zu mögen, lässt sich wie ein Lipizzaner zu Kunststücken verführen. „Bin ich jetzt ein Cowboy?“, fragt der kleine Reiter. „Nein, du bist jetzt ein Arapaho!“, sagt der stolze Vater.
Cory Lambert (Jeremy Renner) ist der weiße Wildhüter, in dessen Zuständigkeit auch das „Wind River“-Indianerreservat fällt. Seine Freunde sind die Ureinwohner im Reservat, bis zum noch immer ungeklärten Tod seiner Tochter war er mit einer Frau aus dem Reservat verheiratet. Als er einen wildernden Puma in den Bergen jagt, findet er die erfrorene Frau. Sie war die beste Freundin seiner Tochter. Der Gerichtsmediziner findet Spuren einer Gruppenvergewaltigung, als Todesursache kann er allerdings nur „Erfrieren“ in den Totenschein schreiben, was die technischen, finanziellen und personellen Ressourcen für eine Ermittlung auf ein Minimum reduziert, zumal die Leiche auf dem Hoheitsgebiet des Reservats gefunden wurde. Deshalb müssen der Jäger Lambert, der desillusionierte Reservatspolizist Ben (Graham Greene) und die aus Las Vegas angereiste FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) das grausame Verbrechen mehr oder weniger als ihre Privatangelegenheit verfolgen.
Nachdem Taylor Sheridan mit seinen grandiosen Drehbüchern zu „Sicario“ und „Hell or High Water“ die Karrieren der Regisseure Denis Villeneuve und David Mackenzie in schwindelerregende Hollywood-Sphären katapultiert hatte, war sein eigenes Regiedebüt nur naheliegend. Sheridan versteht den ebenfalls von ihm geschriebenen Film „Wind River“ als Abschluss seiner „American Frontier Trilogy“. Nach dem mit äußerster Brutalität geführten Krieg zwischen mexikanischen Drogenkartellen und US-Beamten in „Sicario“ und der aus dem Farmer-Elend geborenen kriminellen Energie in „Hell or High Water“ erzählt Sheridan in „Wind River“ von alten und aktuellen Verbrechen gegen Amerikas Ureinwohner.
Die alten Verbrechen sind die Folgen der offiziellen „Indianer“-Politik der Regierung, die Reservate eingerichtet hat, die beim Auffinden wertvoller Rohstoffe aber sofort wieder verlassen werden müssen. Traditioneller Rassismus und Verachtung für die Ureinwohner führen zu den aktuellen Verbrechen. Die Grausamkeiten stehen in einem krassen Widerspruch zur Schönheit der Wildnis in Wyoming, die Ben Richardson („Beasts of the Southern Wild“, 2012) mit seiner Kamera komponiert hat. Den Blick aber, den Hollywood-Produzenten bei einem Thriller über Ureinwohner noch immer bevorzugen, dokumentiert der weiße Jäger. Der von Jeremy Renner („The Hurt Locker“) gespielte Cory Lambert steht ganz in der Rachetradition der Trapper von Robert Redfords „Jeremiah Johnson“ bis zu Leonardo DiCaprios Hugh Glass in „The Revenant“.