Yücel nach Freilassung in Berlin gelandet, Gabriel verneint Deal
Monatelang bewegt sich kaum etwas im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Dann wird er plötzlich freigelassen. Geheimdiplomatie spielt wohl eine Rolle. Einen „Deal“ mit der Türkei soll es aber nicht gegeben haben.
Ankara — Nach einem Jahr in türkischer Haft ist der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel frei. Der deutsch-türkische Journalist wurde am Freitag aus dem Gefängnis Silivri bei Istanbul entlassen und reiste anschließend aus der Türkei aus. Am Abend landete er am Flughafen Berlin-Tegel. Die deutsche Regierung reagierte mit erleichtet auf die Freilassung des 44-Jährigen, dessen Haft zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen Berlin und Ankara geführt hatte.
Noch am Freitagabend verließ Yücel die Türkei. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP in Istanbul berichtete, hob ein Flugzeug mit dem "Welt"-Korrespondenten an Bord am Atatürk-Flughafen ab.
Videobotschaft: "Es bleibt etwas Bitteres zurück"
Yücel selbst freut sich nur eingeschränkt über seine Freilassung aus türkischer Haft. "Ich weiß immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde - und ich weiß auch nicht, warum ich heute freigelassen wurde. Eine Anklage hab' ich immer noch nicht", sagte Yüvel in einer am Freitagabend per Twitter verbreiteten Videobotschaft. "Natürlich freue ich mich, aber es bleibt etwas Bitteres zurück."
Yücel hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der Polizei in Istanbul zur Befragung gestellt und war daraufhin in U-Haft genommen worden. Erst am Freitag reichte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift ein. Sie fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft wegen "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda", wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Das Gericht ordnete aber für die Dauer des Prozesses Yücels Freilassung an. Nach Angaben der " Welt" wurde keine Ausreisesperre verhängt. Der sichtbar erschöpfte Journalist kehrte nach seiner Freilassung zunächst in seine Wohnung im Istanbuler Stadtteil Besiktas zurück. Begleitet wurde er von seiner Frau Dilek Mayatürk.
Diese schloss den 44-Jährigen noch am Gefängnis in ihre Arme. Auf Twitter schrieb sie zuvor: "Endlich!!! Endlich!!! Endlich!!! Deniz ist frei!" Die beiden hatten im April 2017 im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul geheiratet.
Auch Alt-Kanzler Schröder half "Türen aufzumachen"
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erfreut: "Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie, die ja ein sehr sehr schwieriges Jahr der Trennung aushalten musste", sagte sie in Berlin. Die Kanzlerin, die erst am Donnerstag den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim empfangen hatte, dankte dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und "allen, die sich dafür eingesetzt haben", dass Yücel freigekommen sei.
Außenminister Gabriel zufolge wurden der Türkei für die Freilassung keine Gegenleistungen zugesagt. "Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder, wie manche das nennen, Deals in dem Zusammenhang", sagte Gabriel in Berlin. Auf die Frage, ob jetzt wieder alles gut sei im Verhältnis zur Türkei, antwortete der SPD-Politiker: "Ich hab ja gerade gesagt, dass das der Anfang einer Arbeit ist und nicht das Ende."
Gabriel dankte der türkischen Regierung "für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung". Dazu habe er selbst viele direkte Gespräche geführt, in zwei Fällen auch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan. Besonders dankte Gabriel dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
Er bestätigte auch eine Vermittlermission von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Schröder sei im Bemühen um eine Freilassung Yücels zwei Mal in die Türkei gereist. Der Altkanzler hatte sich bereits im Herbst bei Erdogan für den damals inhaftierten Menschenrechtler Peter Steudtner eingesetzt. Deutsche Medien sprachen von einem "geheimen politischen Tauziehen."
Hunderte Journalisten noch in Haft, darunter fünf Deutsche
Die Freilassung Yücels dürfte zu einer Entspannung der deutsch-türkischen Beziehungen führen. Allerdings sitzen nach wie vor fünf Deutsche nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Gabriel äußerte die Hoffnung, dass auch sie freikommen könnten.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mahnte, auch die anderen inhaftierten Journalisten nicht zu vergessen; die Meinungs- und Pressefreiheit bleibe in der Türkei massiv eingeschränkt. Die im Dezember freigelassene deutsche Journalistin Mesale Tolu sagte im Hessischen Rundfunk, aus dem Slogan #FreeDeniz zur Freilassung Yücels müsse #FreeThemAll für alle inhaftierten Journalisten werden.
Während Yücel am Freitag das Gefängnis verlassen konnte, befand ein Istanbuler Gericht die renommierten Journalisten Mehmet und Ahmet Altan sowie Nazli Ilicak der Beteiligung am Putschversuch von Juli 2016 schuldig und verurteilte sie zu lebenslanger Haft.
"Diese Urteile verhöhnen rechtsstaatliche Prinzipien und die Europäische Menschenrechtskonvention", kritisierte Amnesty International. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich "entsetzt über das harte Urteil".
Nach Worten des türkischen Journalisten Can Dündar sind in der Türkei immer noch mehr als 100 Journalisten hinter Gittern. So wurden am Tag der Haftentlassung Yücels drei prominente türkische Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu lebenslanger Haft verurteilt.