Bühne

Ein Untergangs-Uhrwerk

Im Gefängnis von Lügen und Täuschunge: Marion Fuhs (Mitte) als Edith von Kekesfalva in „Die Ungeduld des Herzens“.
© Foto: TLT/Larl

Ein großer Theaterabend voll von kleinen Momenten: Susanne Schmelcher und ein hervorragendes Ensemble erforschen „Die Ungeduld des Herzens“ in den Kammerspielen.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Großes Theater lebt auch und gerade von kleinen Momenten. Von einer kurzen, etwas zögerlichen Berührung zum Beispiel. Einem unbeholfenen Tätscheln. Damit versucht Herr Lajos von Kekesfalva (Jan-Hinnerk Arnke) einer Bitte Nachdruck zu verleihen. Leutnant Hofmiller (Matthias Tuzar) solle sich doch beim behandelnden Arzt nach den wirklichen Genesungsaussichten von Kekesfalvas Tochter Edith (Marion Fuhs) erkundigen. Vor ihm, dem gutbetuchten Vater, würde der Herr Doktor (Jan Schreiber) die Wahrheit zurückhalten. Aus Angst um kommende finanzielle Zuwendungen vielleicht. Oder aus Mitleid. Dann greift Kekesfalva nach der Hand des jungen Mannes; zieht sie unsicher zurück; es bleibt beim Tätscheln. Hofmiller, der so gar nicht zu verstehen scheint, worum es geht, aber von der Lust am Mitleiden mitgerissen wird, willigt trotzdem ein. Wenig später wird er die Aussichtslosigkeit der Diagnose zur Hoffnung spendenden Lüge aufhübschen. Und das Unheil in „Die Ungeduld des Herzens“ nimmt seinen Lauf.

Im Kleinen enthält diese Szene die Tragik des ganzen Stücks, dem Stefan Zweigs gleichnamiger Roman (1939) zu Grunde liegt – der einzige übrigens, den Zweig vollendet hat. Es ist alles da, was die unheilvolle Geschichte antreibt: die von weinerlicher Wehleidigkeit gesäumte Überzeugung, dass sich alles schönreden lässt – und der unverbesserliche Glaube, das alles gutgehen muss, weil es bisher gutgegangen ist.

Und an dieser Szene lässt sich festmachen, warum Susanne Schmelchers Kammerspiel-Inszenierung, der wiederum Thomas Jonigks 2015 in St. Pölten uraufgeführte Bühnenfassung zu Grunde liegt, so stark ist: Keine Regung bleibt Selbstzweck, sondern ist stimmiges Rädchen eines präzise getakteten Untergangs-Uhrwerks. Der Untergang darf vorweggenommen werden. Das tut das Stück auch. Die Gouvernante Frau Engelmayer weiß um die Zukunft – und gibt die Erzählerin. Janine Wegener spielt sie fein nuanciert als bissige Kommentatorin mit schicksalsergebener Strenge.

Aber der Reihe nach: „Die Ungeduld des Herzens“ spielt wenige Wochen vor Beginn des Ersten Weltkriegs und setzt mit einem Fauxpas ein: Leutnant Hofmiller, ein um Haltung und Wirkung bemühter K. u. k.-Rittmeister, fordert die lahme Edith von Kekesfalvas zum Tanz auf – und bemüht sich fortan, das Missgeschick mit Blumenpräsenten vergessen zu machen.

Dass sich Edith von den Aufmerksamkeitsadressen mehr erhofft als geheucheltes Mitleid, entwickelt nicht zuletzt deshalb dramatisches Potenzial, weil es Hofmiller eigentlich auf eine andere, auf von Kekesfalvas Nichte Ilona (Yael Hahn), abgesehen hat. Diese wiederum bemüht sich um den Rittmeister, weil seine Anwesenheit der maladen Cousine guttut. Es ist also kompliziert. Auch weil der von der eigenen Fürsorge überforderte Vater und der undurchsichtige Herr Doktor fleißig an einem bedrohlich wackeligen Gebäude aus Lügen und Täuschungen zimmern. Als ähnlich wackelig übrigens entpuppt sich Marion Hauers erstes für das Tiroler Landestheater entworfenes Bühnenbild: Das Dekor ist mindestens so brüchig wie die Verhältnisse.

Die früh absehbare Ausweglosigkeit, in die sich alle Figuren manövrieren, macht „Die Ungeduld des Herzens“ spannend. Auch weil Schmelcher das Stück nicht als um Bühnenrealismus bemühtes psychologisches Kammerspiel inszeniert, sondern bisweilen alptraumhafte Tableaus für innere Abgründe entwirft, wenn etwa ein Chor von Versehrten Helmut Qualtingers „Krüppellied“ anstimmt oder Ediths Behinderung von einer Kamera gefilmt und ausgestellt wird.

Durchwegs überzeugend ist die Leistung des Ensembles: Marion Fuhs trotzt Ediths Versehrtheit Momente zermürbender Körperlichkeit ab; Matthias Tuzar bleibt auch dann noch militärisch aufrecht, wenn sich sein vermeintliches Mitleid als Selbstmitleid enttarnt. Yael Hahns Präsenz ist – schlicht und ergreifend – bestechend. Jan-Hinnerk Arnke poltert bisweilen – und ist doch ein vom eigenen Einfluss überzeugtes Häufchen Elend. Und Jan Schreiber taumelt zwischen Besorgtheit und Berechnung. Allesamt feine, im besten Sinne untheatralische Charakterstudien also, denen es gelingt, aus vielen kleinen Momenten einen großen Theaterabend zu machen.

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