Kochbücher verraten mehr als ihre Rezepte
Ein Kochbuch fehlt heutzutage in fast keiner Küche. Früher waren Rezeptsammlungen selten. Das änderte sich erst mit dem Buchdruck. Heute sind alte Exemplare rar, aber wichtige Zeugnisse.
Von Deborah Darnhofer
Radfeld, Innsbruck –Kochbücher gibt es heute wie Salz im Streuer. In unfassbarer Vielfalt füllen Rezepte aus aller Welt die Hochglanzbücher. Dafür nehmen sie lange Regalmeter in Büchergeschäften ein, auch zuhause stapeln sie sich.
Mit vielen tollen Bildern und einer kreativen Aufmachung sind sie zweifellos schön anzusehen. Der Unterhaltungswert steht wohl im Vordergrund, richtige Kochanleitungen weniger. Nach den modernen Büchern wird wohl nur noch selten gekocht, denn die Kochzeit zuhause nimmt immer mehr ab.
Ganz anders sah es in den vergangenen Jahrhunderten aus. „Kochbücher waren Gebrauchsgegenstände und wenig repräsentativ“, erzählt Roland Sila von der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums und zeigt ein paar Exemplare. Die schnörkellosen Einbände sind beschädigt und die Titel, sofern man sie noch lesen kann, gewöhnlich. „Kochbuch von Anna Gasser“, steht etwa.
Bilder gibt es so gut wie keine. Von der ersten bis zur letzten Seite sind sie voll geschrieben mit Rezepten. Die Zeitangaben darin sind aus heutiger Sicht auch ungewöhnlich: „Bet’s drei Vaterunser“, rät der Verfasser etwa, um Eier zu schlagen. Früher brauchte es eindeutig mehr Vorkenntnisse, um nach Rezept zu kochen. Doch die „alten Schinken“ sind noch lange nicht unnütz, im Gegenteil.
„Sie können interessante Aufschlüsse darüber geben, was in früheren Zeiten gegessen wurde“, meint Sila. Damit geben die Kochbücher wichtige Einblicke in die Alltagskultur, die ansonsten wenig belegt ist.
So wurden in Tiroler Kochbüchern viele Fleischspeisen, Suppen, Breie (umgangssprachl. „Koch“) und Mehlspeisen festgehalten. Butter und Mehl, Fleisch, Kraut und Kohl bilden Hauptzutaten. Aber auch Flusskrebse kommen immer wieder vor, sie wurden besonders im Mittelalter und darüber hinaus auch hierzulande gegessen. Denn Fleisch war damals in weniger großen Mengen vorhanden, als Mittelalter-Experten noch vor ein paar Jahren angenommen hatten.
Knödel, Strudel, Kartoffelgerichte oder Nudelspeisen standen viel öfter auf dem Essensplan als Braten und gebratene Fleischstücke. Um aus den wenigen vorhandenen Lebensmitteln alle hungrigen Mäuler zu stopfen, war Einfallsreichtum gefragt. Ideen konnte man sich teilweise aus Kochbüchern holen.
„Vieles wurde jedoch mündlich, von Generation zu Generation überliefert“, gibt der Kustos zu bedenken. Daher sind die erhaltenen Rezeptsammlungen, so vergilbt und gebraucht sie auch sein mögen, die wenigen, aber wichtigen Zeugnisse.
Als „Zeitdokumente und Erinnerungen an seine Vorfahren“ betrachtet Norbert Wolf aus Radfeld jene acht bis neun Kochbücher, die er zuhause aufbewahrt. 1965 konnte er einige Exemplare aus dem Bombentrakt der Bahnhofsrestauration in Brixlegg retten. „Mein Ururgroßvater war Baumeister Johann Wolf aus Brixlegg. Er besaß im Laufe der Zeit mehrere Gasthöfe, von dort stammen wohl die Kochbücher.“
Die Rezepte in den handgeschriebenen Büchern sind in der alten Kurrentschrift verfasst und schwer zu entziffern. Ein „Krebs-Strudel“ ist dort ebenso angeführt wie eine „Froschsuppe“, „Gebratenes Kitz“, „Blauer Kohl“ oder „Nieren-Omelette“ – für heutige Gaumen etwas gewöhnungsbedürftige Speisen.
Auf die Frage, ob er nach den Büchern gekocht habe, meint der begeisterte Hobbychronist: „Vom Kochen verstehe ich ebenso wenig wie ein Maurer von der Goldschmiedekunst. Ich habe ausschließlich historisches Interesse daran.“ Damit steht Wolf nicht alleine da.
Die Bibliothek des Landesmuseums bemüht sich seit ihrer Eröffnung 1823, viele Kochbücher in den Bestand aufzunehmen. „Wir sammeln nicht nur alte, sondern auch moderne Kochbücher, allesamt aus der Tiroler Region“, sagt Sila. Alltägliches, welches das Leben der Menschen widerspiegle, sei spannend und ein wichtiger Gegenstand heutiger Forschung. Von insgesamt rund 300.000 Büchern in der Bibliothek des Landesmuseums sind derzeit aber lediglich 1000 Kochbücher. Fleißig wird weitergesammelt.
Doch so oft Rezeptsammlungen heutzutage gedruckt werden, so selten waren sie bis zum 19. Jahrhundert. „Zunächst sind Kochbücher Teil der Adelskultur und dementsprechend selten“, verrät der Bibliothekar.
Adelige hatten das nötige Kleingeld, um die handgeschriebenen Kochbücher in Auftrag zu geben. Außerdem konnten nur Angehörige höherer Schichten diese auch lesen. „Mit dem Buchdruck und vor allem mit der aufkommenden Lesekompetenz im 19. Jahrhundert entstehen dann immer mehr Kochbücher.“
Dadurch wurde damals ein voller Teller und in der heutigen Rückschau ein „kulinarisches Gedächtnis“ ermöglicht, das gut Auskunft über regionale Identitäten geben kann. Nicht umsonst heißt es, „du bist, was du isst“.