Die Entdeckung des Himmels über Budapest
Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczo zeigt in seiner grandiosen Filmparabel „Jupiter’s Moon“ das Elend der Flüchtlinge.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Gerade eben hat der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán bei seiner Angelobung das „Ende der liberalen Demokratie“ und zugleich den Start einer „Christdemokratie“ verkündet. Was kann man sich darunter vorstellen? Genügen zur Illustration für diese Vision jene Bilder vom September 2015, als an der serbisch-ungarischen Grenze Soldaten Flüchtlinge über ein offenes Feld jagten und eine Kamerafrau einen Vater mit seinem kleinen Sohn in den Armen zum Straucheln brachte?
Mit der Rekonstruktion dieser Erinnerung an Bosheit eröffnet Kornél Mundruczo seinen Film „Jupiter’s Moon“. Flüchtlinge, meist Syrer, suchen in der Dämmerung Schutz im Wald, durchschwimmen den Fluss, der die Grenze markiert. Aryan (Zsombor Jéger) rennt keuchend über eine Lichtung, die der Geheimpolizist Laszlo (György Cserhalmi) überwacht. Mit drei Schüssen streckt er den Flüchtling nieder, im Flüchtlingslager wird Dr. Stern (Merab Ninidze) seine Version einer Notwehrsituation bestätigen, schließlich toleriert auch Laszlo Sterns lukrativen Handel mit den Identitäten der Flüchtlinge. Nach einem Kunstfehler glaubt der Alkoholiker mit einer Millionenzahlung sein Leben als Chirurg zurückkaufen zu können. Aber von diesem Ziel ist er weit entfernt.
Auf seinem Operationstisch liegt mit Aryan plötzlich ein medizinisches Wunder, das die Wende in seinem Schicksal bedeuten könnte. Der Flüchtling hat nicht nur die tödlichen Schüsse überlebt, was Stern an allen Gewissheiten zweifeln und zur Flasche greifen lässt, er wird auch Zeuge einer wundersamen Levitation. Wenn sich Stern dieses „Engels“ bemächtigen und er ihn zu Demonstrationen der schwerelosen Flugkunst für ein ausgewähltes, nach Wundern gierendes Publikum überreden kann, lässt sich ein Vermögen machen.
Vera (Móni Balsai), seine Geliebte und Komplizin in der Klinik, wird endlich mit ihm zusammenziehen, alles wird gut werden. Aber Budapest sieht aus wie Los Angeles in „Blade Runner“ und in dieser Stadt, die von Terroranschlägen, Flüchtlingsströmen und Regenstürmen heimgesucht wird, kann nichts mehr gut werden. Die Menschen sehen nur in die Horizontale, haben verlernt, nach oben zu sehen.
2014 verstörte und begeisterte der ungarische Regisseur Kornél Mundruczo mit seiner Tierfabel „Underdog“ das Festivalpublikum in Cannes und wurde von der Jury der Reihe „Un Certain Regard“ mit dem eigens für seinen Film kreierten Spezialpreis geehrt – Palm Dog, die Hunde-Palme. 250 Hunde rächten sich in diesem Film für alle erlittenen Qualen an ihren ehemaligen Besitzern, bis sich Budapest in eine Festung verwandelte. Einem Mädchen, das den Anführer der Meute mit ihrer Trompete früher in den Schlaf spielte, gelingt die neuerliche Zähmung des Hundes. Auch für die explodierende Gewalt in „Jupiter’s Moon“ wählt Mundruczo einen hyperrealistischen visuellen Stil, gegen den er mit den computergenerierten Bildern des schwebenden Aryan die Botschaft der Erlösung setzt. Aber die Menschen müssen erst einmal den Himmel über Budapest entdecken.