Nach der Einigung ist vor dem Streit? SPD noch nicht überzeugt
Die Union hat sich nach den harschen Forderungen von Innenminister Horst Seehofer auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Damit scheint der Fortbestand der Koalition vorerst gesichert. Allerdings ist in dieser Gleichung die Reaktion des Koalitionspartners SPD noch nicht berücksichtigt. Und der könnte die Errichtung von „Transitzentren“ für Asylwerber zu weit gehen.
Berlin/München – Der Asylstreit zwischen CDU und CSU scheint vorerst beigelegt. Niemand wird entlassen, niemand tritt zurück. Möglich wird das durch einen Kompromiss, welcher den Forderungen der CSU weitestmöglich entgegen kommt: Asylwerber, für die ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen de facto an der Einreise gehindert werden. Dazu sollen Transitzentren errichtet werden.
Kleiner Erfolg für Angela Merkel: Die Rückführungen sollen in Abstimmung mit den betroffenen EU-Staaten vorgenommen werden. Allerdings: Sollten diese Länder die Rücknahme verweigern, soll „die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich“ stattfinden.
Fragen und Antworten: Was die Einigung bedeutet – und warum die SPD vor einer schweren Entscheidung steht.
Um wie viele Fälle geht es überhaupt?
Im laufenden Jahr wurden laut Medienberichten bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren – also woanders schon registriert wurden. Es geht also gar nicht um besonders viele Fälle. Der CSU ging es auch um ein Zeichen, dass der Staat nach den Turbulenzen 2015, der Merkel zur „Flüchtlingskanzlerin“ machte, zeigt, dass er an den Grenzen stärker durchgreift. „Die Sicherheit unseres Landes beginnt an der Grenze“, betont CSU-General Blume.
Warum haben sowohl Seehofer als auch Merkel etwas „gewonnen“?
Seehofer wollte eine Zurückweisung direkt an der Grenze, auch wenn die Länder, wo der Asylwerber bereits mit Fingerabdrücken registriert ist, diesen nicht zurücknehmen. Merkel wollte keinen nationalen Alleingang und Lösungen mit den europäischen Partnern. Die Sorge ist, dass sonst alle nach und nach die Grenzen dicht machen – das Prinzip der EU-Freizügigkeit wäre ausgehebelt. Nun wird das juristische Konstrukt der „Fiktion einer Nichteinreise“ betont.
Was hat es damit auf sich?
In der entsprechenden Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz heißt es: „Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, soweit an den EU-Außengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann.“ Kommt er in ein Transitzentrum, ist die Person im juristischen Sinne nicht eingereist, auch wenn sie körperlich die Kontrollstationen passiert hat.
Warum ist hier auch vom Flughafenverfahren die Rede?
Die Formulierung erinnert an das Prozedere an Flughäfen. Es greift für Asylwerber, die aus einem als sicher eingestuften Land mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen. Im Flughafenverfahren ist „das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen“, wie es im Asylgesetz heißt. Der Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren entsteht erst mit dem Aufenthalt in einem Land. Auf diese Weise ermöglicht das Flughafenverfahren beschleunigte Entscheidungen und Rückweisungen. So ähnlich soll es wohl in den Transitzentren laufen. Das legt allerdings nahe, dass Migranten diese auch nicht verlassen können, sondern dort interniert werden sollen.
Kommen damit keine unberechtigten Asylwerber mehr nach Deutschland?
Nein. Erstens geht es nur um die deutsch-österreichische Grenze und dort wird aktuell nur an drei Stellen kontrolliert sowie bei der Schleierfahndung im Hinterland. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen, die schon Kilometer von der Grenze entfernt auf deutscher Seite aufgegriffen werden, in Transitzentren kommen können – sie haben ja längst deutschen Boden betreten. Viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sind zudem zuvor gar nicht in anderen EU-Ländern registriert worden. Zudem ist laut dem CDU-Vizevorsitzenden Armin Laschet keine Ausweitung der Kontrollen geplant. Auch an Grenzen Deutschlands zu anderen Nachbarländern solle sich nichts ändern.
Welche Rolle spielt Österreich?
Es geht nur um Flüchtlinge, die an der bayerisch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden. Österreich soll all jene Flüchtlinge aufnehmen, deren zuständige Länder die keine Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung aus Deutschland abschließen wollen. Was Wien davon hält, ist noch unklar. Das Abkommen soll noch ausgehandelt werden.
Der ehemalige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) rief die Bundesregierung in einer Stellungnahme am Montag dazu auf, gegen die geplante deutsche Vorgangsweise mit Asyl-Transitzentren an der Grenze zu Österreich vorzugehen. Für ihn stellt der innerparteiliche Kompromiss der Union „eine einseitige Belastung für Österreich“ dar.
„Da davon auszugehen ist, dass Deutschland mit einigen Ländern kein Verwaltungsabkommen abschließen wird, würde in diesem Fall Deutschland alle Zurückweisungen nach Österreich durchführen“, so Doskozil. Dies sei inakzeptabel. Er fordere eine europäische Lösung und einen starken Außengrenzschutz.
Wo steckt noch Zündstoff drin?
Die Formulierungen sind interessant. „Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind“, sollen an der Einreise gehindert werden, heißt es in dem Unionspapier. Das scheint aber weniger weitreichend als Seehofer es stets gefordert hatte: Der CSU-Innenminister wollte all jene zurückschicken, die in anderen EU-Staaten schon mit Fingerabdrücken registriert sind. Eine reine Registrierung bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses Land für das Asylverfahren auch zuständig ist. Die Dublin-Verordnung sieht eine Zuständigkeitsprüfung vor, dabei spielen auch andere Kriterien wie der Aufenthaltsort von Familienangehörigen eine große Rolle.
Nun ist die SPD am Zuge, wird sie zustimmen?
Das ist die große Frage. 2015 lehnte die Partei in der damaligen Großen Koalition Transitzentren eindeutig ab, der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach von „Haftzonen“, das sei weder organisatorisch durchführbar noch rechtlich darstellbar. Nun geht es aber nicht pauschal um die meisten ankommenden Flüchtlinge, sondern um relativ wenige Fälle ohne Bleibeperspektive. Die SPD will eine Beschleunigung dieser Verfahren, von etwa einer Woche Aufenthalt ist die Rede. Die Parteilinke dürfte den Vorschlag als inhuman ablehnen. Geschlossene Lager sind für viele in der SPD ein Tabu. Aber die Alternative könnte ein Koalitionsbruch und eine Neuwahl sein – das könnte disziplinierend wirken. Es könnte der alte Willy-Brandt-Spruch bei der SPD zum Tragen kommen: „Erst das Land, dann die Partei.“
Hat sich der ganze Ärger für die CSU gelohnt?
Das wird wohl erst die bayerische Landtagswahl am 14. Oktober zeigen. Seehofer hat wohl weniger herausgeholt, als er ursprünglich plante. Andererseits wäre es ohne den Druck aus Bayern wohl kaum zu der beim EU-Gipfel vereinbarten weiteren Verschärfung der europäischen Asylpolitik mit einem Maßnahmenpaket gegen die hohe Zahl an Mittelmeerflüchtlingen gekommen. Das Gleiche gilt für die von Kanzlerin Merkel geplanten bilateralen Abkommen mit anderen europäischen Staaten zur Rücknahme von Flüchtlingen.