Debatte um 12-Stunden-Tag: Wer wofür steht
Die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ haben ein neues Arbeitszeitgesetz gebastelt, nachdem sich die Sozialpartner im Vorjahr vor den Neuwahlen auf keine Arbeitszeitflexibilisierung geeinigt haben. Jetzt gehen die Wogen trotz eines Abänderungsantrages rund ums Regierungsvorhaben – „freiwilliger“ 12-Stunden-Tag und mögliche 60-Stunden-Woche – hoch. Wer wofür steht:
Experten uneins
Einige Experten aus Recht, Politikwissenschaft, Medizin, Psychologie und Soziologie gehen mit der von der Regierung geplanten Erweiterung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden hart ins Gericht. „Die Notwendigkeit der Novelle ist bei genauerer Betrachtung nicht zu sehen – auch nicht die ökonomische“, sagte der Soziologe Jörg Flecker. Längere Arbeitszeiten, um Aufträge schneller abarbeiten zu können, bedeute nicht ein Mehr an Aufträgen, sondern dass ein anderes Unternehmen eben diesen Auftrag nicht bekomme. Der Wissenschafter von der Uni Wien ortet die Gefahr von Sozialdumping. Ebenso bestreitet er die von der Regierung ins Treffen geführten Vorteile sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer.
Gerhard Blasche von der MedUni Wien warnte vor einem erhöhten Unfallrisiko. Belegt sei eine Zunahme der Unfallhäufigkeit bei Industriearbeiterin ab der zehnten Stunde. Unfälle sind ebenso wie Fehler eine Folge von Müdigkeit. Zwei Zwölf-Stunden-Schichten von Altenpflegern erfordern drei Tage Erholung, erklärte der Mediziner unter Berufung auf eine Studie des Zentrums für Public Health, an der er selbst beteiligt war.
Die Chefs von IHS und Wifo, Martin Kocher und Christoph Badelt sind an sich für eine grundsätzliche Flexibilisierung. Jedoch hätten sie eine Einigung unter Einbindung der Sozialpartner, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, eher goutiert. Für den Wifo-Chef ist „das wirkliche Problem, dass die politische Diskussion mit Übertreibungen arbeitet, die schon ans Lächerliche grenzen – auf beiden Seiten. Das trägt alles nicht zu einer Lösung bei“.
Der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal – er berät die Regierung – verteidigte das schwarz-blaue Vorhaben zur Arbeitszeit. Es werde sichergestellt, dass Arbeitnehmern, die es auf Basis der Freiwilligkeit ablehnen, länger zu arbeiten, keine Konsequenzen fürchten müssten, auch wenn Freiwilligkeit im Arbeitsrecht immer nur bedingt sei. Der Bedarf an 12-Stunden-Tagen sei bei vielen Unternehmen hoch. Bisher gebe es zu viele bürokratische Hürden.
Für den Arbeits- und Sozialrechtler Martin Risak von der Universität Wien ist ein Problem, „dass das selbstbestimmte Gleiten natürlich in vielen Betrieben ein Mythos ist. Dass im Gleiten oft Überstunden versteckt werden.“ In den meisten Gleitzeitvereinbarungen sei eine tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden enthalten. „Das heißt, man muss diese 10 Stunden, die in den meisten Vereinbarungen enthalten sind, durch 12 ersetzen, und das geht nicht einseitig, sondern eben nur durch Verhandlung“.
Pro: ÖVP, FPÖ, WKÖ, IV, viele Unternehmer
Die beiden Parteien haben den Gesetzestext als Initiativantrag in den Nationalrat eingebracht und dann noch einen Abänderungsantrag mit „Freiwilligkeitsgarantie“ für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde vorgestellt, der diese Woche im Plenum mitbeschlossen werden soll. Der Arbeitgebersozialpartner und die Industriellen unterstützen das schwarz-blaue Vorhaben. „Ohne Flexibilität ist wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr möglich“, argumentiert etwa die IV. Die Modernisierung der Arbeitszeitgesetze liege im Interesse der Arbeitnehmer und -geber. Alle Befürworter argumentieren, dass 12-Stunden-Tage die Ausnahme und der generelle 8-Stunden-Tag erhalten bleibe.
Im internationalen Vergleich habe Österreich Aufholbedarf beim flexiblen Arbeiten. Es gehe um wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Die Menschen könnten sich ihre Zeit besser einteilen als mit den bisherigen Arbeitszeitregeln. Niemand werde gezwungen, länger zu arbeiten, so FPÖ und ÖVP.
WKÖ-Präsident Harald Mahrer sagte zu seinem Amtsantritt, eine Lösung für flexiblere Arbeitszeiten sei „sehr dringend“. Er hält es für eine urbane Legende („urban legend“), dass die Arbeitnehmer keine Flexibilisierung wollten. Den Arbeitnehmervertretern von Arbeiterkammer und ÖGB warf er in diesem Zusammenhang eine „Gräuelpropaganda“ vor.
Contra: SPÖ, AK, ÖGB, Liste Pilz, NGO, viele Arbeitnehmer
Das Vorhaben der Regierung wird abgelehnt. Argumentiert wird mit einer Gesundheitsgefährdung und zu wenig Zeit für Familie, Sozial-und Vereinsleben. Im „Plan A“ von SPÖ-Chef Christian Kern hieß es, dass nur dann zwölf Stunden tägliche Arbeit erlaubt werden soll, wenn es im Ausgleich „längere zusammenhängende Freizeitblöcke“ gibt. Diese sehen die Sozialdemokraten wie auch die AK und Gewerkschaften beim aktuellen Vorhaben von ÖVP und FPÖ nicht gegeben. Auch eint die Gegner, dass sie das rasche Vorgehen der Regierungsfraktionen vehement kritisieren. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch forderte zuletzt, über den Sommer ein gemeinsames Vorgehen zu finden, um eine „faire“ Arbeitszeitflexibilisierung in der ersten Nationalratssitzung im Herbst zu beschließen.
Die AK sieht eine geplante „radikale Anhebung der regulären Grenzen der Gesamtarbeitszeit auf 12 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich“. Der Abänderungsantrag ändere daran nichts: „Der Arbeitgeber kann jederzeit legal Überstunden bis zu 12 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich anordnen. Schwierig, da noch Familienleben und Freizeit zu planen. Und wer zu oft überlang arbeitet, schädigt mit der Zeit seine Gesundheit.“
Dass Überstunden über die 10. Tagesstunde oder die 50. Wochenstunde hinaus ohne Begründung abgelehnt werden können, ist für die AK besser als in der Ursprungsvariante geplant. Aber: „Freiwilligkeit“ ist in der Arbeitswelt relativ.“ Die Beschäftigten seien auf Einkommen und gutes Betriebsklima angewiesen. Sie kämen schnell unter Druck, wenn sie gegenüber Vorgesetzten und Kollegen auf ihr Ablehnungsrecht pochten. Sie riskierten ihre Beliebtheit, die nächste Beförderung oder gar den Job. Denn die Mitarbeiter seien künftig nicht mehr automatisch geschützt durch die 10-Stunden-Grenze täglich und die 50 Stunden-Grenze wöchentlich.
Ja, aber: NEOS
Die liberale Oppositionspartei ist zwar für eine Arbeitszeitflexibilisierung. Das Vorgehen von ÖVP und FPÖ goutieren die NEOS aber nicht. Die Debatte laufe wegen der Vorgehensweise der Regierung aus dem Ruder: Die „Dampfwalzenpolitik“ entziehe das Vertrauen der Öffentlichkeit in der Thematik, die auch den NEOS eigentlich ein Anliegen sei. (APA)