Alpines Echo aktueller Debatten
Hans Peter Haselsteiner bezeichnete zur Eröffnung der Tiroler Festspiele Erl soziale Medien als „ultimativen Pranger“ — und warnte vor „Brachial-Populisten“.
Erl –Seine Eröffnungsrede der 21. Tiroler Festspiele Erl am Donnerstagabend beendete Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner mit einer Entschuldigung. Er habe länger gesprochen als sonst, sei emotionaler gewesen als üblich, weniger politisch – und weniger giftig. Die Gründe dafür überraschen kaum: In den vergangenen Wochen und Monaten sahen sich die Festspiele und deren Künstlerischer Leiter Gustav Kuhn mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen konfrontiert, die von Lohndumping über Korruption und schikanöses Verhalten bis zu Machtmissbrauch und sexueller Nötigung reichen. Eine „hasserfüllte Social-Media-Kampagne“, so Haselsteiner, der sich für eine neue Mediengesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene starkmachte: Soziale Medien würden zwar gemeinhin als Medien gesehen, Vorgaben, den Wahrheitsgehalt mancher Inhalte vor der Veröffentlichung zu prüfen, gebe es indessen nicht. So seien soziale Medien zum „ultimativen Pranger“ geworden – bei dem allerdings anders als bei dem mittelalterlichen Vorläufer auf Prozess und Urteil verzichtet wird. „Die Strafe steht bei Anklage fest. Das Strafmaß bestimmt eine namen- und gesichtslose Community“, so Haselsteiner.
Konkret auf Festivalleiter Gustav Kuhn gemünzt, stellte Haselsteiner fest, dass dieser mittlerweile gegen ein drohendes Magengeschwür kämpfe, aber sonst „ganz der Alte“ geblieben sei. „Aus seinen Vorlieben macht er weiterhin keinen Hehl: Wein, Weib und Gesang, was wir gut nachvollziehen können.“ Der Maestro mag manchmal laut, seine Sprache bisweilen derb sein, letztlich sei er aber „sensibler Künstler mit großem Herz“.
Er wolle weder eine notwendige Debatte abwürgen, noch Verfehlungen beschönigen oder Unrecht vertuschen, hielt Haselsteiner fest, aber es gelte festzuhalten, „dass es für Gewalt, zumal für Gewalt gegen Frauen, bei den Festspielen in Erl keinen Platz gibt – und auch nie gab. Jeder Verstoß wird umgehend geahndet. In diesem Haus ist aber auch kein Platz für Ehrabschneidung und Verleumdung.“
Insgesamt sei der Spielraum für Kritik an seinen Festspielen zuletzt allerdings kleiner geworden: „Wir sind inzwischen der meist- und bestgeprüfte Kulturbetrieb Österreichs“, jeder Lohnzettel, jedes Lüftungsrohr und alle Regieanweisungen seien in den letzten Wochen und Monaten von den dafür zuständigen Stellen kontrolliert worden.
Im politischen Teil seiner Rede warnte Haselsteiner vor „Brachial-Populisten“, die als selbsternannte Retter des Abendlandes mit menschenverachtenden Maßnahmen politisches Kleingeld wechseln – und geißelte den Nationalismus als Gefahr für die europäische Idee. „Wahrer Patriot kann nur sein, wer europäisch denkt und handelt“, so Haselsteiner.
Dem pflichtete auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter bei, der in seiner Rede an das Jahr 1998 erinnerte. Damals seien am Brenner Grenzbalken abgebaut worden, „heute drohen neue“. Er sei als „kleiner Tiroler Landeshauptmann“ darum bemüht, das zu verhindern.
Offiziell eröffnet wurden die Erler Festspiele durch den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, der dem Politischen eine blumige Beschwörung ländlichen Kulturraums folgen ließ: „Das Echo der Alpen klingt anders als der Hall der Städte.“
Musikalisch starteten die Festspiele verhalten in ihre 21. Spielzeit. Cyrill Scotts Symphonie Nr. 1 in G-Dur war als impressionistischer Pausenfüller zwischen den Festreden gut aufgehoben. Einzig der letzte Satz, mit dem 22-jährigen Patrick Hahn am Pult des Festspiel-Orchesters, entwickelte raumfüllende Kraft.
Ungleich wuchtiger und mitreißender hingegen Felix Mendelssohn Bartholdys „Schottische“, durch die Gustav Kuhn selbst führte, energiegeladen, durchaus energisch und bisweilen ziemlich zügig. Das Erler Publikum dankte es mit minutenlangem Beifall und stehenden Ovationen. Was man wohl auch als Zeichen des Beistands für den zuletzt unter Beschuss geratenen Festspielchef deuten muss. (jole)